Woraus berechnet sich der Pflichtteil, wenn der Erbe eine Nachlassimmobilie unter dem Marktwert verkauft?
Ist ein Ehegatte oder naher Angehöriger per Testament enterbt, kann er oder sie wenigsten den Pflichteil verlangen. Details dazu in diesen Beiträgen:
Enterbt ist halb so schlimm: So macht man den Pflichtteil geltend
Das korrekte Nachlassverzeichnis: Basis für die Pflichtteilsberechnung
Immobilie im Nachlass: Welcher Wert gilt?
Ein häufiger Streitpunkt zwischen den Erben und den Pflichtteilsberechtigten ist die Bewertung einer Immobilie (Haus, Eigentumswohnung). Beim Pflichtteil gilt zunächst einmal das Stichtagsprinzip, das bedeutet: Der Wert der Immobilie am Todestag ist ausschlaggebend. Der Pflichtteilsberechtigte ist wirtschaftlich so zu stellen, als hätte der Erbe den Nachlass sofort, also am Tag des Todes des Erblassers, in Geld umgesetzt (BGH NJW2015, 2336).
Nur, wie stellt man diesen Stichtagswert fest? Können sich Erben und Pflichtteilsberechtigte nicht auf einen Wert als Berechnungsgrundlage einigen, kann der Pflichtteilsberechtigte verlangen, dass der Erbe ein Sachverständigengutachten (zum Stichtag Todestag) erstellt. Auch über das Ergebnis des Gutachtens (Schätzwert) kann man streiten, aber das ist dann eine Fachfrage zwischen Immobiliensachverständigen.
Spannend wird es, wenn der Erbe (bzw. die Erbengemeinschaft) die Immobilie bald nach dem Erbfall verkauf und der Pflichtteilsberechtigte meint, dass der Verkaufspreis viel zu niedrig angesetzt war. Entweder weil der Erbe sich vom Käufer hat über den Tisch ziehen lassen und naiv unter Marktwert verkauft hat. Oder gar, weil der Erbe mit dem Käufer gemauschelt hat und der Käufer dem Erben einen Teil des Kaufpreises „schwarz“ zahlt, also am Notar vorbei (das ist übrigens nicht ratsam, weil es erstens strafbare Steuerhinterziehung und Betrug am Pflichtteilsberechtigten ist, und zweitens auch noch den notariellen Verkauf komplett unwirksam macht).
Welcher Wert gilt also für die Berechnung des Pflichtteils, wenn ein Immobiliensachverständiger zum Beispiel einen Wert von 900.000 Euro ansetzt, der Erbe das Haus aber für 650.000 Euro verkauft hat?
BGH: Ausgangspunkt ist der tatsächliche Verkaufspreis
Die Rechtsprechung macht es sich relativ einfach: Laut diversen Urteilen des Bundesgerichtshofs ist die Berechnungsgrundlage für den Pflichtteil zunächst einmal der tatsächliche Verkaufspreis, sofern die Immobilie „bald“ nach dem Erbfall (Todestag) verkauft wurde, wobei die Gerichte „bald“ relativ weit definieren. Auch mehrere Jahre nach dem Erbfall ist noch „zeitnah“. Folgende Zeiträume wurden bereits ausgeurteilt:
- Grundstücksveräußerung nach einem halben Jahr (LG Bonn BeckRS2012, 6940)
- nach über 28 Monaten (OLG Frankfurt a. M. ZEV2003, 364) und sogar
- nach dreieinhalb Jahren (BGH NJW2011, 1004).
Wo genau liegt die zeitliche Obergrenze für diesen Vorrang des tatsächlichen Verkaufserlöses über den gutachterlichen Schätzwert? Der BGH entschied, dass jedenfalls bei einem Verkauf eines Nachlassgegenstands (also nicht nur bei Immobilien) innerhalb von bis zu fünf Jahren nach dem Erbfall bei im Wesentlichen unveränderten Marktverhältnissen nicht der vom Gutachter ermittelte Schätzwert, sondern der tatsächliche Verkaufspreis maßgeblich ist (BGH NJW-RR1993, 131; ZEV2015, 349), egal ob ein solcher Verkaufserlös über oder unter dem vom Gutachter ermittelten Wert liegt (BGH NJW2011, 1004).
Mauschelei beim Verkauf der Immobilie und Beweislast für „echten Marktwert“
Was kann der Pflichtteilsberechtigte also tun, wenn der tatsächlich erzielte Verkaufspreis viel zu niedrig erscheint? Nun, es ist schwierig! Wenn der Käufer kein Verwandter oder enger Freund des Verkäufers (also des Erben) ist, gehen die Gerichte zunächst einmal davon aus, dass es sich um einen realistischen Marktwert handelt, jedenfalls dann, wenn das Objekt über einen längeren Zeitraum auf dem Immobilienmarkt angeboten wurde (z.B. Immobilien-Online-Plattform). Aber selbst wenn der Verkäufer gleich das erstbeste Angebot annimmt und der Immobiliensachverständige später in seinem Gutachten zu einem höheren Marktwert kommt, hat es der Pflichtteilsberechtigte schwer, denn die Beweislast dafür, dass der Erbe tatsächlich einen höheren Verkaufspreis hätte erzielen können, liegt beim Pflichtteilsberechtigten. Dieser muss also beweisen, dass entweder der Immobilienmarkt seit dem Todestag massiv eingebrochen ist ((BGH NJW2011, 1004)) oder der Erbe vorsätzlich zu billig verkauft hat, um ihm zu schaden.
Weitere Informationen zu Erbrecht, Testamentsgestaltung und Pflichtteil hier:
– Gratis Info-Broschüre zu Testament und Erbschaftssteuer – Wie geht ein Berliner Testament (Mustertext) – Nachteile des Berliner Testaments – Enterbt ist halb so schlimm: So macht man den Pflichtteil geltend (Muster-Anspruchsschreiben) – Testierunfähigkeit wegen Demenz – Wozu ein Testamentsvollstrecker– Was kostet ein Testamentsvollstrecker?
Graf & Partner: Kanzlei für Erbrecht seit 2003
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