Der Autor Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt (München) und Master of Laws (Leicester, England) spezialisiert sich seit 2001 auf internationales Recht, insbesondere deutsch-britische, deutsch-amerikanische, deutsch-österreichische und deutsch-spanische Rechtsstreitigkeiten, grenzüberschreitende Erbfälle und Nachlassabwicklungen. Er ist Mitggründer und Managing Partner der deutsch-britischen Anwaltskanzlei Graf & Partner Rechtsanwälte und Leiter der Prozessrechtabteilung der deutsch-englischen Kanzlei Graf | Partner
Warum geht ein Enterbter nach deutschem Recht doch nicht leer aus?
Jeder kann sein Testament frei gestalten und zum Erben bestimmen, wen er will. Allerdings mit einer Einschränkung: Das deutsche Recht will sicher stellen, dass die nächsten Angehörigen wenigstens einen Mindestanteil am Vermögen des Verstorbenen erhalten, den sog. Pflichtteil. Begründet wird dies mit einer Fürsorgepflicht gegenüber diesen nächsten Angehörigen (ähnlich der Unterhaltspflicht). Übrigens: In vielen anderen Rechtsordnungen (z.B. in den meisten US-Bundesstaaten) ist dieser Gedanke einer „Mindestbeteiligung am Familienvermögen“ unbekannt oder jedenfalls deutlich schwächer ausgeprägt, der Erblasser ist hier viel freier. So kann etwa Bill Gates seine Kinder leer ausgehen lassen.
Diesen Pflichtteilsanspruch bekommt man aber nicht automatisch, man muss ihn „geltend machen“ – und zwar innerhalb von drei Jahren. Hier zum Download ein Beispiel eines Anwaltsschreibens, mit dem ein enterbtes Kind sein Pflichtteilsrecht geltend macht.
In Kürze das Wichtigste zum Pflichtteilsrecht:
Einen Pflichtteilsanspruch haben nur die engsten Angehörigen, nämlich:
– Abkömmlinge (das ist der Überbegriff für Kinder, Enkel u.s.w.) – und der Ehegatte. – Eltern (bzw. Großeltern) sind nur pflichtteilsberechtigt, wenn keine Abkömmlinge leben.Ausschließen kann der Erblasser den Pflichtteil – wie der Name schon sagt – in aller Regel gerade nicht. Das Gesetz erlaubt die sog. Entziehung des Pflichtteils nur in krassen Fällen, etwa bei Mordversuch oder grober körperlicher Misshandlung durch den Pflichtteilsberechtigten. Ein schlechtes Verhältnis reicht nicht als Grund, jemandem den Plichtteil zu entziehen, nicht einmal völlige Entfremdung und jahrzehntelang fehlender Kontakt.
Ein Pflichtteilsberechtigter erhält die Hälfte dessen, was er bei gesetzlicher Erbfolge geerbt hätten (wenn also kein Testament existieren würde). Einfaches Beispiel: Ein Witwer hat zwei Kinder. Er setzt eines als seinen Alleinerben ein, das andere Kind wird enterbt. Gäbe es kein Testament, wären die beiden Kinder (gemäß gesetzlicher Erbfolge) Miterben je zu 1/2 geworden. Das enterbte Kind hat nun eine Pflichtteilsquote in Höhe der Hälfte der gesetzlichen Erbquote: Er hat also einen Anspruch auf 1/4 des Nachlassvermögens.
Dies gilt aber nur wertmäßig: Pflichtteilsberechtigte werden nämlich gerade nicht Miterben, sondern haben nur einen Anspruch auf Auszahlung des Wertes in Geld, können also keine konkreten Gegenstände oder bestimmte Immobilien verlangen. So dürfen sie auch nicht an den Versammlungen der Miterben teilnehmen (es sei denn, die Erbengemeinschaft erlaubt es freiwillig).
Der Pflichtteilsanspruch ist sofort (also am Todestag) fällig. Ein aggressiver Pflichtteilsberechtigter kann also per Zahlungsaufforderung sehr schnell den Lauf von Verzugszinsen erzwingen. Damit der Pflichtteilsberechtigte die Höhe des konkreten Anspruchs berechnen kann, ist der Erbe (bzw. die Erbengemeinschaft) zur Auskunft verpflichtet – und zwar nicht nur pauschal, sondern sehr detailliert per schriftlichem Nachlassverzeichnis (Details dazu hier). Darin ist jeder Nachlassgegenstand einzeln aufzulisten. Der Pflichtteilsberechtigte kann sogar verlangen, dass das Nachlassverzeichnis von einem Notar erstellt werden muss (auch die Notarkosten müssen aus dem Nachlass gezahlt werden, § 2314 BGB). Hat der Pflichtteilsberechtigte immer noch Zweifel, kann er vom Erben verlangen, dass dieser eine eidesstattliche Versicherung abgibt, dass die Angaben im nachlassverzeichnis richtig und vollständig sind, inklusive Schenkungen in den letzten 10 Jahren (Details dazu hier).
Nun könnte ein Erblasser auf die Idee kommen, den Pflichtteilsanspruch (des ungeliebten Angehörigen) dadurch auszuhöhlen, dass er sein Vermögen zu Lebzeiten verschenkt. Das verhindert das Gesetz durch den sog. Pflichtteilsergänzungsanspruch: Ein Pflichtteilsberechtigter erhält (zusätzlich zum Pflichtteil selbst) auch einen Zahlungsanspruch in Höher seiner Pflichtteilsquote aus allem, was der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod verschenkt (oder unter dem tatsächlichen Wert „verkauft“) hat.
Vorsicht Verjährung: Der Pflichtteilsanspruch verjährt nach drei Jahren. Immer wieder kommt es vor, dass ein Pflichtteilsberechtigter in die Kanzlei kommt und länger als drei Jahre gewartet hat. Auf den Hinweis, dass der Anspruch verjährt ist, sagen dann manche: „Ja, ja, ich kenne die drei-Jahres-Frist, aber das ist nicht schlimm, Herr Anwalt, ich habe den Anspruch nämlich schon selbst per Einschreiben geltend gemacht“. Das ist der Moment, wahlweise die Cognak-Flasche oder die Baldriantropfen aus dem Schrank zu holen und dem Mandanten schonend beizubringen, dass sein Einschreiben die Verjährung gerade nicht unterbrochen hat. Dazu wäre nämlich eine Klage nötig gewesen.
Bevor man Klage erhebt (in der Regel eine sog. Stufenklage auf Auskunft über den Nachlass und anschließende Zahlung), sollte man den Pflichtteil aber schriftlich geltend machen, um die negativen Kostenfolgen bei einem sofortigen Anerkenntnis zu vermeiden und die Verzugszinsen frühzeitig ins Laufen zu bringen.
Hier ein Beispiel für ein anwaltliches Anspruchsschreiben, mit dem eine enterbte Tochter Auskunft über den Nachlass und Zahlung ihres Pflichtteils verlangt. Dieses Beispiel ist konfrontativ formuliert, da der Erbe vorher bereits den Anspruch telefonisch abgelehnt hatte. In anderen Fällen kann man das erste Schreiben etwas „netter“ halten, insbesondere den Hinweis auf versuchten Betrug weglassen.
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Der Autor Bernhard Schmeilzl besitzt neben der deutschen Zulassung als Rechtsanwaltauch den britischen Titel des Master of Laws der englischen University of Leicester mit Schwerpunkt Wirtschaftsrecht (Commercial Law). Rechtsanwalt Schmeilzl berät in eigener Wirtschaftskanzlei (bestehend aus 5 deutschen Anwälten und zwei englischen Solicitors) Unternehmen im Vertrags-, Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht sowie in streitigen Verfahren, sowohl in Deutschland wie im anglo-amerikanischen Raum. Kontakt unter +49 941 7853053