Kann man jemandem gegen dessen Willen Prokura erteilen?
So die auf den ersten Blick verblüffende Frage eines Mandanten, dessen Chef – der Inhaber eines kleinen Unternehmens – ihn unbedingt zum Prokuristen machen wollte. Nun werden sich die meisten Angestellten über eine Prokuraerteilung freuen, weil diese hohe Reputation und meist auch ein höheres Gehalt mit sich bringt. Unser Mandant wollte diese Ehre aber partout nicht, weil er Sticheleien der langjährigen Kollegen und eine Vergiftung des Betriebsklimas befürchtete. Zudem scheute er die (vermeintlich) höhere Verantwortung.
Nun, muss man sich eine Prokura aufdrängen lassen?
Auf den ersten Blick ist eine Prokura, wie jede andere Vollmacht, eine einseitige Willenserkärung, die keiner Annahmeerklärung des Prokuristen bedarf. Der Geschäftsinhaber muss also – rein rechtlich gesehen – nicht vorher fragen oder eine Zustimmung einholen. Er kann durch einseitige Erklärung, sogar gegenüber Dritten, jemandem Prokura erteilen, sogar ohne dass dieser von weiß (sog. Außenvollmacht). Der Inhaber kann also einem Geschäftspartner mitteilen: „Morgen kommt Herr Müller bei Ihnen vorbei und unterzeichnet das für uns, ich habe Herrn Müller Prokura erteilt.“ Der Inhaber kann Herrn Müller auch auf dem Geschäftsbriefpapier als Prokurist angeben.
Sogar die Eintragung der Prokura ins Handelsregister ist seit 2007 ohne dessen Mitwirkung möglich. Bis 2007 musste der Prokurist nach § 53 HGB alter Fassung noch seine Namensunterschrift unter Angabe der Firma und eines die Prokura andeutenden Zusatzes (z. B. ppa) zur Aufbewahrung bei dem das Handelsregister führende Gericht zeichnen. Er musste also mit zum Notar und eine Unterschriftsprobe abgeben. Dieses Erfordernis wurde 2007 gestrichen, so dass man einen Prokuristen sogar ohne dessen Willen oder Wissen ins Handelsregister eintragen lassen kann.
Übrigens: Vor 2007 und auch jetzt ist eine Prokuraerteilung aber auch ohne Eintrag ins Handelsregister wirksam.
Muss man sich eine Prokura also wirklich aufzwingen lassen?
Nein! Nach überwiegender Meinung hat der „Prokurist wider Willen“ ein ungeschriebenes Zurückweisungsrecht; ebenso ein Niederlegungsrecht, wenn er zunächst mit der Prokura einverstanden ist, später aber seine Meinung ändert (vgl. Krebs in MüKo zum HGB, 2016, Band 1, § 48 Rd. 43 sowie § 52 Rd. 43). Der zu Bevollmächtigende kann nämlich durchaus ein berechtigtes Interesse daran haben, keine Prokura erteilt zu bekommen, seien es eher weiche, psychologische Gründe wie im Ausgangsfall oder auch rechtliche Erwägungen (Prokura kann als Indiz für die Position als Leitender Angestellter handfeste Nachteile beim Kündigungsschutz mit sich bringen). Umso mehr natürlich, wenn der Prokurist wider Willen mit dem Unternehmen gar nichts zu tun hat. Ein Inhaber könnte ja auf die Idee kommen, zu Erhöhung der Reputation seiner Firma, als vertrauenswürdig bekannte Personen einfach als (angebliche) Prokuristen auf sein Briefpapier zu schreiben.
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