Und wenn ja, kann man damit dem deutschen Pflichtteilsrecht entgehen?
Nehmen wir das Beispiel Schweiz: Die Mandantin ist deutsche Staatsbürgerin, lebt jedoch seit ca. 10 Jahren mit ihrem Mann in der Schweiz und hat dort ihren alleinigen Wohnsitz. Die Mandantin möchte: Variante 1) ihre Tochter per notariellem Erbvertrag – beurkundet von einem Schweizer Notar – zur Alleinerbin einsetzen oder Variante 2) Ihren Mann zum Alleinerben einsetzen und die Tochter damit enterben.
Formelle Wirksamkeit des Erbvertrags:
Die Mandantin möchte einen notariellen Erbvertrag in der Schweiz beurkunden lassen. Nach deutschem Erbrecht gibt es (im Wesentlichen) zwei Möglichkeiten der wirksamen Errichtung einer letztwilligen Verfügung: ein eigenhändiges Testament sowie eine Beurkundung des Testaments / Erbvertrags vor einem deutschen Notar. Es fragt sich daher, ob die deutsche Rechtsordnung einen Erbvertrag anerkennt, der von einem Schweizer Notar beurkundet wurde.
Anmerkung: Praktisch relevant wird diese Frage ohnehin nur in zwei Konstellationen: (i) Wenn sich eine andere Person durch den Erbvertrag benachteiligt fühlt und dessen Wirksamkeit angreift (so dass stattdessen gesetzliche Erbfolge einträte) oder (ii) wenn der/die im Erbvertrag Begünstigte später aus diesem Erbvertrag in Deutschland Rechtswirkungen herleiten will, und dazu auf Umsetzungshandlungen einer deutschen Institution (Gericht, Grundbuch, Behörde, Bank etc.) angewiesen ist. Vor Schweizer Behörden und Gerichten ist der in der Schweiz beurkundete Erbvertrag selbstverständlich ohnehin wirksam, so dass es bei der Übertragung von Vermögen innerhalb der Schweiz keine Probleme geben würde.
Wird ein Schweizer Erbvertrag nun in Deutschland anerkannt?
Für die Formwirksamkeit eines im Ausland erstellten Testaments gilt das „Haager Testamentsformübereinkommen“ (HTÜ) vom 05.10.1961, dem die Schweiz am 17.10.1971 beigetreten ist. Das HTÜ kennt mehrere Anknüpfungspunkte für das Formstatut von Testamenten. Neben der Staatsangehörigkeit (hilft hier nicht weiter, da die Mandantin nicht schweizerische Staatsbürgerin ist) sind dies insbesondere der Wohnsitz des Erblassers (Art. 1 Abs. 1c HTÜ), der Verfügungsort (Art. 1 Abs. 1h HTÜ) sowie den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts (Art. 1 Abs. 1d HTÜ). Im Beispielsfall sind diese Anknüpfungspunkte gegeben. Die geplante letztwillige Verfügung ist also – auch aus Sicht der deutschen Rechtsordnung – formwirksam, wenn sie den Formvorschriften des Ortes (Schweiz) entspricht, an dem die Mandantin letztwillig verfügt, ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt hat. Anmerkung zur juristischen Präzision: Das HTÜ gilt dem Wortlaut nach zwar nur für Testamente (nicht für Erbverträge); für Erbverträge ordnet Art. 26 Abs. 4 EGBGB aber dieselbe Rechtsfolge an.
Materiell-rechtliche Wirksamkeit (Anerkennung des Inhalts des Erbvertrags)
Die Tatsache, dass die deutsche Rechtsordnung den geplanten Erbvertrag als formell gültige letztwillige Verfügung anerkennt, bedeutet aber noch nicht automatisch, dass die deutsche Rechtsordnung auch die im Erbvertrag angeordneten Inhalte akzeptiert. Diese können nämlich gegen zwingendes deutsches Erbrecht verstoßen (z.B. wenn Pflichtteilsansprüche nicht beachtet werden). Wie ist hier die Rechtslage?
Aus Sicht der deutschen Rechtsordnung findet auf den Gesamtnachlass der Mandantin das deutsche materielle Erbrecht Anwendung (Art. 25 Abs. 1 EGBGB), da aus deutscher Sicht die Staatsangehörigkeit der zentrale Anknüpfungspunkt ist.
Aus Sicht der Schweizer Rechtsordnung findet hingegen auf den gesamten Nachlass der Mandantin schweizerisches materielles Erbrecht Anwendung, da laut Artikel 90 Abs. 1 Schweizerisches Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG) der Nachlass einer Person mit letztem Wohnsitz in der Schweiz dem Schweizer Recht untersteht.
Zwischenergebnis: Aus Sicht der beiden Rechtsordnungen gilt jeweils das „eigene“ Recht. Dies führt zwar nicht zu einer Nachlassspaltung (also einer Trennung in zwei Nachlassteile, die dann jeweils nach unterschiedlichen Rechtsordnungen zu behandeln wären), es führt jedoch zu einem Nachlasskonflikt der beiden materiellen Rechtsordnungen. Das deutsche und schweizerische materielle Erbrecht sind inhaltlich zwar relativ ähnlich, in Details aber doch verschieden (z. B. Pflichtteilsregeln).
Ob sich dieser Nachlasskonflikt im konkreten Fall auswirkt, hängt davon ab, ob im geplanten Erbvertrag inhaltliche Anordnungen getroffen werden sollen, die dem materiellen deutschen Erbrecht widersprechen. Dies muss im Einzelfall sorgfältig geprüft werden.
Falls ein konkreter Nachlasskonflikt denkbar ist, so besteht die Möglichkeit, dass die Mandantin den Erbvertrag zwar in der Schweiz beurkundet, im Erbvertrag aber ausdrücklich die Anwendung des deutschen materiellen Erbrechts wählt. Diese Möglichkeit ist in Art. 90 Abs. 2 IPRG ausdrücklich vorgesehen:
Wortlaut Art. 90 Schweizer IPRG: (1) Der Nachlass einer Person mit letztem Wohnsitz in der Schweiz untersteht schweizerischem Recht. (2) Ein Ausländer kann jedoch durch letztwillige Verfügung oder Erbvertrag den Nachlass einem seiner Heimatrechte unterstellen. Diese Unterstellung fällt dahin, wenn er im Zeitpunkt des Todes diesem Staat nicht mehr angehört hat oder wenn er Schweizer Bürger geworden ist.Dies bewirkt, dass ein Nachlasskonflikt vermieden wird, weil dann aus Sicht beider Länder materielles deutsches Recht Anwendung findet.
Ausführliche Informationen zum Thema britisch-deutsches Erbrecht und Testamentsgestaltung in UK auf der Website Cross-Channel-Lawyers
Weitere Informationen zum deutschen Erbrecht:
– Broschüre “Fakten zum Erbrecht”– Testierunfähigkeit wegen Demenz – Wie geht ein Berliner Testament (Mustertext) – Kann man seinen Arzt zum Erben einsetzen? – Info-Broschüre “Fakten zum Erbrecht” – Nachteile des Berliner Testaments – Enterbt ist halb so schlimm: So macht man den Pflichtteil geltend (Muster-Anspruchsschreiben) – Checkliste Nachlassverzeichnis: Korrekte Berechnung des Pflichtteilsanspruchs – Wozu ein Testamentsvollstrecker – Was kostet ein Testamentsvollstrecker?