Ein Verkehrswertgutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Immobiliensachverständigen kostet den Erben gut und gern 4.000 Euro aufwärts. Hat der Pflichtteilsberechtigte Anspruch auf ein solches ö.b.u.v.-Gutachten oder tut es auch die Verkehrswertschätzung eines Maklers?

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Wird ein naher Angehöriger (Ehegatte, Kind, unter Umständen auch ein Elternteil) enterbt, kann dieser den Pflichtteil verlangen. Der Enterbte kann seinen Pflichtteil aber nur berechnen, wenn er alle Informationen zum Nachlass kennt. Deshalb gibt § 2314 Abs. 1 BGB dem Pflichtteilsberechtigten einen Auskunftsanspruch gegen den Erben bzw. die Erbengemeinschaft:

„Ist der Pflichtteilsberechtigte nicht Erbe, so hat ihm der Erbe auf Verlangen über den Bestand des Nachlasses Auskunft zu erteilen. Der Pflichtteilsberechtigte kann verlangen, dass er bei der Aufnahme des ihm nach § 260 vorzulegenden Verzeichnisses der Nachlassgegenstände zugezogen und dass der Wert der Nachlassgegenstände ermittelt wird. Er kann auch verlangen, dass das Verzeichnis durch die zuständige Behörde oder durch einen zuständigen Beamten oder Notar aufgenommen wird.“

Der Erbe muss also ein übersichtliches und vollständiges Nachlassverzeichnis mit allen Nachlassaktiva und Passiva erstellen. Zudem sind lebzeitige Schenkungen (10 Jahre zurück) und ehebedingte Zuwendungen (zeitlich unbegrenzt zurück) anzugeben. Einzelheiten zur Frage, welche Vermögenspositionen in das Nachlassverzeichnis gehören, vor allem welche Kosten als Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden dürfen, sind hier erläutert.

Befinden sich in der Erbmasse Grundstücke, Eigentumswohnungen oder gar Unternehmen, so hilft dem Pflichtteilsberechtigten die reine Information „Immobiliengrundstück Hauptstraße 1 in Entenhausen“ im Nachlassverzeichnis wenig. Deshalb gibt das Gesetz dem Pflichtteilsberechtigten zusätzlich zum Auskunfts- auch einen sogenannten Wertermittlungsanspruch (§ 2314 Abs. 1 Satz 2, Alternative 2 BGB). Diesen muss der Pflichtteilsberechtigte aber ausdrücklich geltend machen, den Erben also explizit zur Erstellung eines Gutachtens auffordern. Verlangt der Pflichtteilsberechtigte keine Wertermittlung, so muss der Erbe kein Gutachten in Auftrag geben. Nicht der Erbe muss den Pflichtteil berechnen, sondern der Pflichtteilsberechtigte selbst.

Auswahl des Immobiliensachverständigen

Zur Auskunft und (wenn es ausdrücklich verlangt wird) auch zur Wertermittlung der einzelnen Nachlassgegenstände verpflichtet ist der Erbe bzw. die Erbengemeinschaft. Deshalb ist auch allein der Erbe berechtigt, den Sachverständigen auszuwählen und das Gutachten in Auftrag zu geben. Es handelt sich um eine sogenannte unvertretbare Handlung (BGH NJW 75, 258). Weigert sich der Erbe oder lässt er sich aus Sicht des Pflichtteilsberechtigten zu lange Zeit, so sollte der Pflichtteilsberechtigte nicht etwa eigenmächtig selbst ein Gutachten in Auftrag geben, weil er sonst – mangels Kostenerstattungsanspruch – auf diesen Kosten in voller Höhe sitzen bleibt (OLG Karlsruhe NJW-RR 90, 393, 394; Schneider, MDR 81, 353). Vielmehr muss der Pflichtteilsberechtigte in diesem Fall (wenn er die Sachverständigenkosten nicht selbst tragen will) den Erben auf Wertermittlung verklagen.

Der Erbe wiederum hat das Problem, dass Immobiliengutachten sehr teuer sind, insbesondere wenn sie von öffentlich bestellten und vereidigten (ö.b.u.v.) Immobiliensachverständigen erstellt werden. Zudem hat ein solches außergerichtliches Sachverständigengutachten keine Bindungswirkung. Der Pflichtteilsberechtigte kann also selbst dann, wenn ihm der Erbe ein 5.000 Euro teures Gutachten vorlegt, das Ergebnis immer noch bestreiten und den Wert der Immobilie höher einschätzen.

In der anwaltlichen Praxis raten wir unseren Mandanten deshalb dazu, dass die Parteien sich wenn möglich vorab einvernehmlich auf einem bestimmten Sachverständigen einigen (ÖBUV oder nicht) und sich schriftlich dazu verpflichten, dass von diesem Sachverständigen gefundene Ergebnis als verbindlich anzuerkennen. Sind die Parteien bereits so zerstritten, dass eine solche Vereinbarung nicht möglich ist, muss der Erbe entscheiden, welchen Sachverständigen er beauftragen will. Das Gesetz sagt zur Methode der Wertbestimmung in § 2311 Abs. 2 BGB nur:

„Der Wert ist, soweit erforderlich, durch Schätzung zu ermitteln. Eine vom Erblasser getroffene Wertbestimmung ist nicht maßgebend.“

Wie diese „Schätzung“ konkret durchzuführen ist, steht nicht im Gesetz. Die Wertermittlung muss aber gewissen Mindeststandards genügen. Der Erbe sollte also einen neutralen Immobiliensachverständigen beauftragen, der die allgemein anerkannten Bewertungsregeln einhält (Wertermittlungsrichtlinien). Dieser Sachverständige muss aber nicht zwingend öffentlich bestellt und vereidigt sein, so ausdrücklich OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 454; OLG Köln FamRZ 2012,483 (484). Eine wenige Seiten umfassende „Verkehrswerteinschätzung“durch einen Immobilienmakler wird den Anforderungen aber in der Regel nicht genügen.

Die Kosten für ein solches Sachverständigengutachten fallem nach § 2314 Abs. 2 BGB dem Nachlass zur Last. Das heißt, der Erbe muss den Sachverständigen bezahlen. Der Erbe kann die Gutachterkosten aber im Nachlassverzeichnis als Nachlassverbindlichkeit geltend machen. Wirtschaftlich betrachtet zahlt also auch der Pflichtteilsberechtigte einen Teil der Sachverständigenkosten (nämlich in Höhe seines Pflichtteilsquote), weil diese die Berechnungsgrundlage für seinen Pflichtteilsanspruch reduzieren. Mit diesem Argument kann der Erbe auch versuchen, sich mit dem Pflichtteilsberechtigten auf die Auswahl eines kostengünstigen Sachverständigen zu einigen.

Das Honorar eines öffentlich bestellten und vereidigten Immobiliensachverständigen kann sehr unterschiedlich ausfallen, je nach Wert der Immobilie und dem für das Gutachten erforderlichen Aufwand. Bei einem Einfamilienhaus (ohne Komplikationen wie Erbbaurechten, mehreren Wertermittlungsstichtagen, Altenteilsrechten oder sonstigen besonderen Lasten) liegen die Kosten meist zwischen 3.500 und 5.000 Euro. In großen Städten lassen die öbuv Sachverständigen auch selten mit sich handeln, weil die Auftragslage für die Gutachter sehr gut ist. Übrigens dauert ein solches Gutachten meist auch eine ganze Weile. Nach unseren Erfahrungen (in München, Stuttgart, Regensburg, Ingolstadt, Nürnberg und Augsburg) beträgt die Bearbeitungsdauer je nach Arbeitsaufwand ca. zwei bis vier Wochen nach Ortsbesichtigung und Vorlage aller notwendigen Unterlagen.

Apropos Unterlagen

Bevor der Immobiliensachverständige mit seiner Bewertung beginnen kann, benötigt dieser in der Regel folgende Informationen und Unterlagen:

– aktueller Grundbuchauszug

– Kaufvertrag / Überlassungsvertrag

– Bauantragsunterlagen oder sonstige bautechnische Unterlagen ( Grundriss, Lageplan etc.)

– Aufstellung der Renovierungs- und Modernisierungsmaßnahmen der letzten fünf Jahre

– etwaiges Zubehör (z.B. Fotovoltaikanlagen) und Betriebseinrichtungen ( vor allem bei Gewerbeobjekten)

– bei vermieteten Objekten: Mietverträge und Aufstellung der tatsächlich vereinnahmten Mieten

– bei Rechten und Lasten in der zweiten Abteilung des Grundbuchs: Abschriften der Bewilligungsurkunden

Diese Liste zeigt, dass ein professionelles Immobiliengutachten sehr ins Detail geht. Statt einer zweiseitigen „Einschätzung“ durch ein Maklerbüro erhält man von einem „echten“ Immobiliensachverständigen ein 20-30seitiges Gutachten mit umfangreichen Anlagen.

Viele Erben halten dies für übertrieben. Man sollte jedoch – gerade wenn das Verhältnis zwischen dem Erben und dem Pflichtteilsberechtigten bereits angespannt ist – nicht das Risiko eingehen, dass der Pflichtteilsberechtigte fachliche Mängel des Gutachtens dazu nutzt, den Erben vor Gericht nochmals auf Erteilung eines „korrekten“ Gutachtens zu verklagen. Zwar hat der Pflichtteilsberechtigte keinen Anspruch auf ein bestimmtes, seinen Vorstellungen entsprechendes Gutachten, fachliche Standards müssen aber eingehalten sein und der Erbe muss dem Pflichtteilsberechtigten alle Informationen und Unterlagen zukommen lassen, die diesen in die Lage versetzen, den Pflichtteilsanspruch berechnen zu können (siehe die obige Liste an Unterlagen).

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Enterbt ist halb so schlimm: So macht man den Pflichtteil geltend (Muster-Anspruchsschreiben)
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Die 2003 gegründete Anwaltskanzlei Graf & Partner ist neben der Beratung in deutschen Erbfällen auch spezialisiert auf Erbfälle mit Bezug zu Österreich, der Schweiz sowie zu  anglo-amerikanischen Jurisdiktionen (England, Schottland, USA, Kanada, Australien und Südafrika), also speziell die Abwicklung deutsch-österreichischer und deutsch-schweizer Nachlassangelegenheiten sowie deutsch-britischer, deutsch-amerikanischer und und deutsch-kanadischer Erbfälle. Wer sich mit der Abwicklung einer komplizierten internationalen Nachlassangelegenheit konfrontiert sieht, muss nicht verzweifeln. Die Anwälte für internationales Erbrecht haben lange Jahre praktische Erfahrung und unterstützen die Erben, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter gerne. Wir prüfen und strukturieren den Erbfall und dessen steuerlichen Auswirkungen, organisieren die in den jeweiligen Ländern nötigen Maßnahmen, nehmen auf Wunsch Kontakt zu den Erbrechtsexperten im jeweiligen Ausland auf (von USA und England über Südafrika bis Australien), und koordinieren die Nachlassabwicklung. Dies vermeidet Doppelarbeit und beschleunigt den Zugriff auf das ausländische Erbe.

Falls Sie bei einem konkreten Erbfall rechtliche Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte der Kanzlei Graf & Partner sowie deren Partneranwälte in Österreich, der Schweiz, England, Schottland und Irland gerne zur Verfügung. Ihre Ansprechpartner sind Rechtsanwältin Katrin Groll und Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England), zentrale Rufnummer: 0941 463 7070.