Er heißt nun einmal deshalb Pflichtteil, weil er den Pflichtteils-Berechtigten zwingend zusteht. Jedem Ersteller eines Testaments muss klar sein, dass er seine nächsten Angehörigen (Abkömmlinge, Ehegatten und Eltern – letztere aber nur, wenn er keine Kinder hat) zwar enterben kann, diese dann aber trotzdem eine Mindestbeteiligung am Nachlassvermögen einfordern können. Und zwar vom Erben. Und zwar sofort! Wie man einen Pflichtteil konkret berechnet haben wir hier ausführlich erläutert (noch ausführlicher als PDF-Download hier). Wie man ihn als Berechtigter vom Erben einfordert steht hier: „Enterbt ist halb so schlimm: So macht man den Pflichtteil geltend„.
Jetzt wechseln wir aber einmal die Perspektive und versetzen uns in die Lage eines Elternteils, dessen Kind überhaupt keinen Kontakt mehr hält, undankbar ist oder sogar beleidigend und aggressiv. Landläufig meinen die meisten Mandanten, dass man in solchen Fällen den Pflichtteil entziehen kann. Falsch! Die Entziehung des Pflichtteils funktioniert nach der abschließenden Liste des § 2333 BGB nur in ganz extremen Ausnahmefällen (Stichwort Mordversuch). Kontaktabbruch oder unterlassene Weihnachts- und Geburtstagsgrüße genügen nicht. Um es ganz drastisch zu sagen: Es genügt nicht einmal, wenn einen der eigene Sohn / die eigene Tochter auf der Straße stets mit einem „Du dumme S..!“ grüßt. Das verstehen viele Mandanten nicht, aber es ist gültige deutsche Rechtslage. Anders als etwa in USA oder England ordnet das deutsche Recht an, dass die allernächsten Angehörigen immer eine Mindestbeteiligung am Vermögen der Familie erhalten, auch wenn der Erblasser das überhaupt nicht will.
Was rät man also Mandanten, die das nicht akzeptieren wollen?
Nun, zwar kann man nichts daran ändern, dass der Pflichtteilsberechtigte seine Pflichtteilsquote am Nachlassvermögen verlangen kann. Aber man kann zum einen daran arbeiten, dass die Berechnungsgrundlage möglichst niedrig ist. Platt: Der Enterbte bekommt dann eben 1/4 oder ein 1/8 aus wenig bis null. Zum anderen kann man wirtschaftliche Anreize setzen, damit der Berechtigte auf seinen Pflichtteil entweder schon zu Lebzeiten verzichtet (das geht aber nur notariell) oder den Pflichtteil (wenigstens beim Tod des ersten Elternteils erst einmal) nicht geltend macht. Und dann gibt es noch die ganz brutalen Tricks aus dem Giftschrank der Juristerei, die aber natürlich auch mit Risiken verbunden sind.
Hier einige Tipps, wie man das Problem Pflichtteil entschärft:
– Ehegatten, die ein Berliner Testament erstellt haben, sollten zunächst einmal vermeiden, dass das Vermögen überwiegend bei einem Ehegatten liegt. Stirbt dieser nämlich zuerst, ist die Berechnungsgrundlage des Pflichtteils dieses hohe Vermögen. Schlimmer: Beim zweiten Erbfall errechnet sich der zweite Pflichtteilsanspruch dann ja wieder aus dem dann kumulierten Vermögen. Also: Immobilien, Bankkonten und Depots nicht auf einen Ehegatten allein laufen lassen, wenn man den Pflichtteil niedrig halten will. Bei Ehegatten geht eine solche Umverteilung in der Regel im Weg der ehebedingten Zuwendung, so dass nicht das Folgeproblem des Pflichtteilsergänzungsanspruchs entsteht.
– Zweitens kann man natürlich bereits zu Lebzeiten sein hab und Gut verschenken, dann bekommt der Pflichtteilsberechtigte eben seine Pflichtteilsquote aus Nichts. Allerdings wollen sich die Wenigsten bereits zu Lebzeiten völlig arm schenken. Und wenn die Schenkungen erst innerhakb der letzten zehn Jahre vor dem Tod erfolgen, hat der Pflichtteilsberechtigte seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Der ist allerdings seit 2009 durch die Abschmelzregelung etwas entschärft (siehe § 2325 Abs. 3 BGB: für jedes Jahr, das die Schenkung vor dem Tod lag, fällt die Schenkungsvaluta um 1/10 weniger als Berechnungsgrundlage an). Solche Schenkungen zu Lebzeiten sind also in jedem Fall dann zu empfehlen, wenn so viel Vermögen vorhanden ist, dass man guten Gewissens einen Teil davon verschenken kann und trotzdem noch für das Alter abgesichert ist.
– Die Eltern können Verträge zugunsten Dritter abschließen, da deren Auszahlungen dann nicht in den Nachlass fallen. Zwar verlagert sich das Problem dann auch hier auf die Bühne Pflichtteilsergänzungsanspruch, aber hierfür ist in der Regel nicht die Auszahlungssumme relevant, sondern nur die in den letzten zehn Jahren gezahlten Beiträge.
– Eheleute sollten in ihr Testament eine sog. Pflichtteilsstrafklausel aufnehmen, die es wirtschaftlich unattraktiv macht, beim Tod des ersten Elternteils seinen Pflichtteil geltend zu machen. Das Mittel ist allerdings einigermaßen stumpf, wenn der Pflichtteilsberechtigte ein Einzelkind ist, weil seine Pflichtteilsquoten dann sehr hoch sind (bei beiden Erbfällen). Zudem fällt es dem länger lebenden Ehegatten psychologisch häufig schwer, das einzige Kind zu enterben.
– Bei Pflichtteilsberechtigten, die besonders scharf auf sofortigen Cash sind, kann man natürlich auch anbieten, einen bestimmten Betrag zu zahlen, wenn der Pflichtteilsberechtigte im Gegenzug auf seinen Pflichtteil verzichtet. Aber vorsicht: So ein Pflichtteilsverzicht geht nur in notarieller Form!
– Wer es ganz ernst meint und die nötigen Ressourcen aufwenden will, kann natürlich noch gröbere Geschütze auffahren, etwa die Verlagerung seines Vermögens ins Ausland. Denkbar ist zum Beispiel, Immobilien in einem Land zu kaufen, das kein Pflichtteilsrecht kennt (z.B. England, USA) und diese Immobilien dann per gesondertem Testament zu vererben. Dann kommt es nämlich zur sogenannten Nachlassspaltung (mehr dazu hier), d.h. deutsches Vermögen wird nach deutschem Erbrecht vererbt und ausländisches Vermögen nach ausländischem Recht. Im Klartext: Die englischen Häuser und Eigentumswohnungen sind nicht Berechnungsgrundlage für den Pflichtteil.
Weitere Informationen zu Testamentsgestaltung und Erbrecht:
– Testierunfähigkeit wegen Demenz – Wie geht ein Berliner Testament (Mustertext) – Kann man seinen Arzt zum Erben einsetzen? – Info-Broschüre “Fakten zum Erbrecht”– Nachteile des Berliner Testaments – Enterbt ist halb so schlimm: So macht man den Pflichtteil geltend (Muster-Anspruchsschreiben) – Checkliste Nachlassverzeichnis: Korrekte Berechnung des Pflichtteilsanspruchs – Wozu ein Testamentsvollstrecker – Was kostet ein Testamentsvollstrecker?