Sind durch Konfusion erloschene Verbindlichkeiten beim Pflichtteil relevant?
Im Unterschied zur Alltagssprache verstehen Juristen unter „Konfusion“ nicht, dass jemand verwirrt ist. Der Fachbegriff Konfusion bedeutet vielmehr, dass Gläubiger und Schuldner eines Anspruchs identisch sind und der Anspruch dadurch erlischt. Wann kommt so etwas vor?
Sehr häufig zum Beispiel im Erbfall. Stellen Sie sich vor, dass der Vater von seiner Tochter ein Darlehen von 100.000 Euro aufgenommen hat. Das bedeutet, die Tochter hat einen Rückzahlungsanspruch (Forderung) gegen den Vater, der Vater eine Verbindlichkeit gegenüber der Tochter. Nun stirbt der (verwitwete) Vater und seine Tochter wird Alleinerbin. In der Sekunde des Todes steht die Tochter nun plötzlich auf beiden Seiten des Anspruchs, sie ist gleichzeitig Schuldnerin und Gläubigerin. Zivilrechtlich hat das zur Folge, dass der Anspruch erlischt, sozusagen „verpufft“. Das nennen Juristen Konfusion.
Darf der Erbe den „verpufften“ Anspruch trotzdem abziehen?
Das führt beim Thema Erbrecht und Pflichtteil zu einer schwierigen Frage; Darf der Erbe bei der Berechnung des Pflichtteils solche Verbindlichkeiten, die durch Konfusion erloschen sind, trotzdem noch abziehen?
Nochmal zu unserem obigen Beispiel: Sagen wir, der verwitwete Vater hatte neben der Tochter auch noch einen Sohn, den er aber durch Testament enterbt hat, weil er drogensüchtig und kriminell ist. Der Sohn kann nun natürlich seinen Pflichtteil geltend machen. Die Tochter, also die Schwester des Pflichtteilsberechtigten, sagt: Ja, die bekommst deinen Pflichtteil aus dem Vatervermögen, aber ich ziehe die 100.000 Euro als Verbindlichkeit vom Nachlass ab. Der Sohn entgegnet: Das darfst du nicht, weil die Verbindlichkeit des Vaters dir gegenüber in der Sekunde des Todes erloschen ist.
Wer sich über die Hintergründe des Pflichtteils informieren möchte, kann zunächst dieses Video ansehen
Erloschene Ansprüche bleiben für die Pflichtteilsberechnung relevant
Spätestens seit der BGH-Entscheidung BGHZ 98, 382 (NJW 1987, 1260, 1262) gilt, dass für die Pflichtteilsberechnung gem. § 2311 BGB solche Ansprüche (Forderungen und Verbindlichkeiten), die infolge des Erbfalls durch Konfusion (bei dinglichen rechten auch Konsolidation genannt) erloschen sind, als nicht erloschen gelten.
Das Argument ist: Andernfalls würde der Pflichtteilsberechtigte ungerechtfertigterweise davon profitieren, dass der Erblasser nicht einen Dritten, sondern den Gläubiger zum Erben eingesetzt hat (vgl. Münchener Kommentar zum BGB, § 2311 BGB Rn. 5). Die Höhe des Pflichtteilsanspruchs darf nicht davon abhängen, wer zufällig Erbe wird und ob in der Person des Erben die Voraussetzungen einer Konfusion gegeben sind.
Nochmal zum Beispiel: Hätte der Vater nicht seine Tochter zur Alleinerbin eingesetzt, sondern den FC Bayern, dann hätte der Sohn natürlich auch einen Pflichtteilsanspruch. Dann würde vom Nachlass aber zunächst die Darlehensverbindlichkeit gegenüber der Tochter abgezogen, weil die Tochter nicht Erbin wurde und die Darlehensschuld deshalb auch nach dem Tod weiter besteht. Setzt der Witwer dagegen die Tochter als Alleinerbin ein, darf das im Hinblick auf die Nachlassverbindlichkeit von 100.000 Euro keinen Unterschied machen.
In der Praxis eröffnet das gewisse Gestaltungsspielräume, wenn man den Pflichtteilsanspruch reduzieren möchte, siehe hier.
Weitere Informationen zu Testamentsgestaltung und Erbrecht:
– Enterbt ist halb so schlimm: So macht man den Pflichtteil geltend (Muster-Anspruchsschreiben)
– Checkliste Nachlassverzeichnis: Korrekte Berechnung des Pflichtteilsanspruchs
– Wenn schon enterben, dann aber richtig– Die Entziehung des Pflichtteils: wichtige Urteile
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