Gute Pflegeheime sind teuer. Die Lebenserwartung – und damit die Aufenthaltsdauer in Alten- und Pflegeheimen – wird statistisch immer länger. Genügen Rente, eigene Ersparnisse und Pflegeversicherung nicht, um die Heimkosten zu decken, so springt die Sozialhilfe ein. Das Sozialamt prüft in diesen Fällen jedoch immer, ob nicht andere Unterhaltspflichtige herangezogen werden können, bei denen es dann Regress nimmt. Dies betrifft zum einen den Ehegatten, immer häufiger aber auch die Kinder des Heimbewohners. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner Entscheidung vom 30.8.2006 präzisiert, welchen Anteil ihres Einkommens die Kinder in solchen Fällen an das Sozialamt abgeben müssen und in welcher Höhe Kinder sogar ihr eigenes Vermögen angreifen müssen, um das Heim zu finanzieren.
Die Ausgangslage: Ein älterer Mensch wird pflegebedürftig und kann sich nicht mehr selbst versorgen. Die eigenen Einkünfte und die Leistungen der Pflegeversicherung reichen nicht aus, um die Heimkosten zu decken. Hier muss der Betroffene die Lücke zunächst mit seinem Vermögen schließen. Als Freibeträge darf er rund 90 Euro monatlich als „Taschengeld“ und ein Kontoguthaben von 2.600 Euro als „Notgroschen“ behalten. Sein gesamtes sonstiges Vermögen muss der Betroffene für die Heimkosten verwenden, also etwa auch sein Haus verkaufen oder seine Lebensversicherung vorzeitig auflösen.
Reicht auch das nicht für die Heimkosten bzw. ist das eigene Vermögen irgendwann aufgebraucht, so muss als nächstes der Ehegatte einspringen. Existiert kein Ehegatte oder ist dieser finanziell ebenfalls nicht in der Lage, die Heimkosten zu tragen, so nimmt das Sozialamt die Kinder des Pflegebedürftigen ins Visier und prüft, ob es diesen die ungedeckten Heimkosten (ganz oder wenigstens anteilig) aufbürden kann. Nach § 1601 BGB sind nämlich nicht nur Eltern gegenüber ihren Kindern zum Unterhalt verpflichtet, sondern auch umgekehrt, also auch Kinder und Enkel gegenüber ihren Eltern bzw. Großeltern (sog. Elternunterhalt). Allerdings ist die Unterhaltspflicht „jung gegenüber alt“ deutlich schwächer ausgestaltet, als die der Eltern gegenüber ihren Kindern. Zudem müssen gemäß den §§ 1602 bis 1615 BGB viele weitere Voraussetzungen vorliegen, damit eine solche Unterhaltspflicht der Kinder besteht. Insbesondere muss das Kind „leistungsfähig“ sein, es soll ja durch die Unterhaltspflicht nicht selbst in Not kommen. Dennoch: Die Sozialämter machen die Regressforderungen in der Praxis immer aggressiver geltend. Die Berechnungen der Sozialämter sind dabei nicht selten unvollständig und damit falsch. Die mehrseitigen Fragebögen, die Kinder ausfüllen müssen, sind schwer verständlich. Wehren sich Kinder dann nicht gegen einen (zu hohen) Leistungsbescheid, etwa weil sie die Freibeträge und die Rechtsprechung zum sog. Schonvermögen nicht kennen, so zahlen sie möglicherweise viele Jahre, obwohl sie nach dem Gesetz gar nicht dazu verpflichtet gewesen wären. Die Einzelheiten sind leider kompliziert. Hier die wichtigsten Fakten zur Berechnung, welchen Anteil des Einkommens und welchen Teil des Vermögens Kinder eventuell abgeben müssen.
I. Zugriff auf das Einkommen
Das unterhaltspflichtige Kind hat:
– Selbsthalt von 1.800 Euro pro Monat
– Freibetrag von 1.440 Euro für den Ehepartner (wenn dieser nicht selbst verdient)
– Freibeträge pro unterhaltsberechtigtem Kind
– Freibeträge für Aufwendungen, die auch schon vor der Unterhaltspflicht erfolgten (Kinderbetreuung, Besuchskosten, Versicherungen, Schuldzinsen)
– Freibeträge für „standesgemäße“ eigene Altersvorsorge (max. 5% des Bruttoeinkommens)
Verbleibt hiernach noch ein Überschuss, so muss das Kind diesen nur zur Hälfte einzusetzen.
II. Zugriff auf das Vermögen
Welches Vermögen des Kindes wird verschont?
– Von vornherein unantastbar ist Vermögen, das zur Deckung des Eigenbedarfs nötig ist (z.B. Betriebsvermögen, Geschäft, Landwirtschaft etc.)
– ferner ein „angemessenes“, selbst genutztes Familienheim (anders bei Luxus-Villa oder binnen 10-Jahres-Frist von Eltern geschenktes Haus)
– sonstiges Vermögen muss dann nicht verwertet werden, wenn der Betroffene dadurch von laufenden Einkünften abgeschnitten würde, die zum Bestreiten eigenen Unterhalts nötig sind
– zudem verbleibt ein „Notgroschen“
– das aktuelle BGH-Urteil gesteht auch einen Freibetrag für die eigene Altersvorsorge zu (5% des Lebens-Bruttoeinkommens)
Verbleibt hiernach noch ein Überschuss, so muss das Kind diesen nur zur Hälfte einsetzen.
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Im Ergebnis bestehen also durchaus großzügig bemessene Freibeträge. Allerdings muss man sich gegenüber dem Sozialamt aktiv darauf berufen. Der Pflegebedürftige selbst hat allerdings – wie oben gesehen – kaum Freibeträge, er muss sein gesamtes Vermögen einsetzen, notfalls auch das Familienheim verkaufen. Die gängige Praxis des Berliner Testaments, sich gegenseitig als Alleinerben einzusetzen, ist unter diesem Gesichtspunkt daher nicht unbedingt optimal, da bei späterer Pflegebedürftigkeit das ganze Vermögen eingesetzt werden muss, um die Heimkosten zu bezahlen. Ein Ausweg für den Pflegebedürftigen kann sein, das Familienhaus frühzeitig auf die Kinder zu übertragen (und sich ein Wohnrecht zurückzubehalten). Dies muss allerdings mindestens zehn Jahre vor der Pflegebedürftigkeit geschehen, da die Sozialbehörden innerhalb der 10-Jahres-Frist ein Rückforderungsrecht haben (§ 528 BGB). Weitere Details zur Berechnung sowie das aktuelle Urteil des BGH stehen zum kostenlosen Download auf der Website www.grafpartner.com (Rubrik Publikationen) zur Verfügung.
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Der Autor Bernhard Schmeilzl besitzt neben der deutschen Zulassung als Rechtsanwaltauch den britischen Titel des Master of Laws der englischen University of Leicester mit Schwerpunkt Wirtschaftsrecht (Commercial Law). Rechtsanwalt Schmeilzl berät in eigener Wirtschaftskanzlei (bestehend aus 5 deutschen Anwälten und zwei englischen Solicitors) Unternehmen im Vertrags-, Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht sowie in streitigen Verfahren, sowohl in Deutschland wie im anglo-amerikanischen Raum. Kontakt unter +49 941 463 7070