Lassen sich Unternehmer oder Freiberufler scheiden, wollen deren Ehepartner Zugewinnausgleich. Um dessen Höhe zu berechnen, muss die Firma, Praxis oder Kanzlei im Scheidungsprozess bewertet werden. Dasselbe gilt beim Tod des Unternehmers, wenn Ehepartner oder Kinder ihren Pflichtteilsanspruch geltend machen. Da für Gewerbebetriebe einerseits und Freiberuflerpraxen andererseits unterschiedliche Bewertungsmethoden gelten, ergeben sich große Wertunterschiede. Im Ergebnis ist der Unternehmer meist deutlich „mehr wert“ als der Feiberufler, da bei Scheidung und Erbfall Firmen deutlich höher bewertet werden als Praxen und Kanzleien von Freiberuflern.
Viele Freiberufler, also Ärzte, Anwälte, Architekten und Berater, machen sich lange Zeit keine Gedanken, welchen Wert ihre Kanzlei oder Praxis eigentlich hat. Aktuell wird diese Frage spätestens dann, wenn sich der Freiberufler zur Ruhe setzen will und mit einem potentiellen Nachfolger über den Kaufpreis verhandelt. Lässt der Freiberufler die Praxis von einem Sachverständigen bewerten, ist das Ergebnis oft ernüchternd: Der Verkehrswert der Praxis ist meist deutlich niedriger, als der Arzt bzw. Anwalt sich vorgestellt hatte.
Hauptgrund hierfür ist, dass der Freiberufler in der Regel nur den sog. Goodwill übertragen kann, also den Patienten-/Mandantenstamm und den Bekanntheitsgrad der Praxis/Kanzlei. Der Wert der Praxis ist extrem eng an die Person des Freiberuflers gebunden. Übergibt ein Arzt seine Praxis, hat der Nachfolger keine Garantie, dass die Patienten weiterhin dieselbe Arztpraxis besuchen werden. Vielleicht fanden viele Patienten gerade den bisherigen Arzt besonders kompetent und sympathisch, werden aber mit dessen Nachfolger nicht warm. Völlig anders bei Gewerbebetrieben: Hier steht nicht die Unternehmerperson im Vordergrund, sondern das Produkt. Wem die Firma konkret gehört, ist dem Kunden in der Regel egal, solange er mit Produktqualität und Preis zufrieden ist. Wer kauft schon plötzlich seine Möbel, Brillen und Autos woanders, nur weil der Geschäftsinhaber gewechselt hat?
Ein weiterer wichtiger Unterschied: Der Freiberufler muss als Dienstleister seinen Umsatz immer durch persönliche Arbeitskraft selbst erwirtschaften. Anders beim Inhaber eines gut eingeführten Gewerbebetriebs: Hier sprudeln die Gewinne unabhängig von persönlichem Arbeitseinsatz. Aktien, GmbH- oder KG-Geschäftsanteile haben daher einen Wert, der unabhängig vom Arbeitseinsatz des konkreten Anteilseigners ist. Bei Freiberuflern ist eine solche Trennung nicht möglich. Immerhin bleibt ein (zugegeben schwacher) Trost: Dieser Nachteil beim Verkauf der Praxis wandelt sich im Fall einer Scheidung in einen Vorteil: Der Freiberufler muss deutlich weniger Zugewinnausgleich zahlen, als der Unternehmer. Und seine Erben zahlen weniger Pflichtteil oder Erbanteilsausgleich.
Aus den genannten Gründen wendet man völlig unterschiedliche Bewertungsmethoden an: Bei Gewerbebetrieben in aller Regel das Ertragswertverfahren, bei Freiberuflerpraxen dagegen das Übergewinnverfahren. Die Unterschiede sind gewaltig: Erzielte ein Rechtsanwalt in den letzten Jahren zum Beispiel einen Durchschnittsgewinn von 120.000 Euro, so ergäbe die (unpassende) Ertragswertmethode einen Kanzleiwert von einer Million, das (korrekte) Übergewinnverfahren dagegen einen Wert zwischen 100.000 und 300.000 Euro. Das Problem: Wenige Anwälte und leider auch nicht alle Richter kennen sich in der komplexen Materie der Unternehmensbewertung wirklich aus. So geistern teilweise noch Dinosaurier wie etwa das „Stuttgarter Verfahren“ durch Gesellschaftsverträge, Anwaltsschriftsätze oder sogar Urteile, ein Mischverfahren, das vom Institut der Wirtschaftsprüfer und der Rechtsprechung längst als ungeeignet verworfen wurde.
Häufigster Fehler ist, auf Praxen und Kanzleien überhaupt das Ertragswertverfahren anzuwenden. Wählt aber der Scheidungsrichter die falsche Bewertungsmethode, bedeutet das für den Freiberufler, der Zugewinnausgleich zahlen muss, einen Unterschied von mehreren Hunderttausend Euro. Doch selbst innerhalb der korrekten Bewertungsmethode gibt es viele Stellschrauben, mit denen sich das Ergebnis massiv beeinflussen lässt. So errechnet man beim Übergewinnverfahren zunächst den durchschnittlichen Nettoumsatz der letzten drei Jahre (wobei das aktuellste Jahr doppelt gewichtet wird). Dieser Durchschnittsumsatz wird mit einem Faktor zwischen 0,5 und 1,0 multipliziert. Der konkrete Wert des Faktors hängt, neben einigen harten Kriterien (wie Umsatzentwicklung und Kostenstruktur), auch von etlichen „weichen“ Kriterien ab, zum Beispiel der Qualität der Mandanten-/Patientenstruktur sowie Ruf und Lage der Praxis. Hier kann der Freiberufler durch geschickte Argumentation das Ergebnis des Sachverständigen erheblich zu seinen Gunsten beeinflussen – im Fall der Scheidung nach unten, im Fall des Praxisverkaufs nach oben. Eine Übersicht mit Details zu den Bewertungsverfahren steht hier zum PDF-Download: Bewertung_von_Unternehmen_und_Freiberuflerpraxen.
Rechtsanwalt Bernhard Schmeilzl ist seit 2000 Wirtschaftsanwalt, erwarb 2003 den Master of Laws an der englischen University of Leicester mit Schwerpunkt European Union Law und berät als Partner einer Wirtschaftskanzlei Unternehmen und Freiberufler. Dies insbesondere auch bei grenzüberschreitender Vertragsgestaltung, insbesondere in anglo-amerikanischen Jurisdiktionen.