Länger lebender Elternteil muss Kinder beim Berliner Testament gleich behandeln
Der Klassiker der Testamentsgestaltung bei Ehepaaren mit Kindern ist dieser Wortlaut hier:
„Wir setzen uns hiermit gegenseitig beim Tod des ersten von uns zu Alleinerben ein. Beim Tod des zweiten von uns erben unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen.“
Das nennt man Berliner Testament, weil Berliner Notare diese Formulierung um 1900 herum erstmals verwendet haben.
Müssen Eltern ihre Kinder im Testament gleich behandeln?
Die meisten Eltern werden ihren gemeinsamen Kindern in etwa gleiche Werte vererben wollen. Das ist aber natürlich kein Zwang. Man kann bei der Gestaltung des Berliner Testaments also sehr wohl ein Kind bevorzugen, das andere benachteiligen, bis hin zur völligen Enterbung. Die Grenze ist allerdings der Pflichtteilsanspruch, der bleibt dem benachteiligten Kind immer (wenn nicht ganz ausnahmsweise ein Grund für die Entziehung des Pflichtteils vorliegt). Mehr dazu in diesem Video:
Darf der länger Lebende das Testament ändern?
Spannender ist aber die Frage, ob der länger lebende Elternteil das Berliner Testament abändern darf, wenn darin die Kinder zu gleichen Teilen bedacht sind. Sagen wir, ein Ehepaar mit zwei Kinder erstellt ein klassisches Berliner Testament, der Vater verstirbt im Jahr 2018, die Mutter ärgert sich darüber, dass eines der Kinder nie anruft oder zu Besuch kommt. Die Mutter möchte daher das andere Kind zum Alleinerben einsetzen, obwohl die Eltern als beide noch lebten die Kinder 50/50 bedenken wollten. Geht das? Nein, das geht nur, wenn das Berliner Testament dem länger lebenden Ehegatten ausdrücklich das Recht einräumt, nach dem Tod des ersten Elternteils die Erbquote der Kinder abzuändern. Der zuerst verstorbene Ehegatte wollte durch das Berliner Testament ja gerade sicherstellen, dass der länger Lebende nicht jemand völlig anderen zum Erben einsetzt, etwa einen neuen Ehepartner oder den Jahn Regensburg oder die Caritas.
Dann schenke ich halt zu Lebzeiten!
Was aber, wenn der länger lebende Ehegatte einfach zu Lebzeiten dem „braven“ Kind hohe Geldbeträge schenkt oder eine Eigentumswohnung überträgt? Dann bleibt das Testament zwar im Wortlaut wie es ist, nur die Erbmasse am Todestag wäre halt geringer, sodass das benachteiligte Kind zwar nach wie vor die Hälfte (oder ein Drittel o.ä.) erbt, aber aus einer viel geringeren Erbmasse.
Böswillige Schenkungen werden ausgeglichen
Sie ahnen es: Solche einseitigen Schenkungen sind nicht zulässig, denn sie wären im Ergebnis eine Umgehung des von beiden Eltern gemeinsam erstellten Berliner Testaments und daher „böswillig“. In der juristischen Literatur spricht man auch von benachteiligenden Schenkungen bzw. beeinträchtigenden Schenkungen.
Das benachteiligte Kind kann in solchen Fällen von seiner (großzügig beschenkten) Schwester oder seinem Bruder den Anteil der Schenkung herausverlangen, den er oder sie ohne diese „böswillige Schenkung“ geerbt hätte (§ 2287 BGB). Interessant ist dabei, dass dieser Anspruch sofort eingeklagt werden kann. Das benachteiligte Kind muss diesen Ausgleich also nicht mühsam und langwierig als Teil der Gesamterbschaftsauseinandersetzung geltend machen, was in einer zerstrittenen Erbengemeinschaft ja gut und gerne mehrere Jahre dauern kann. Vielmehr kann man den Anspruc wegen „böswilliger, benachteiligender Schenkung“ isoliert und sofort geltend machen. Für diejenigen, die es ganz genau wissen wollen, sind am Ende des Beitrags einige juristische Fundstellen aufgelistet.
Fazit: benachteiligende Schenkungen sind keine gute Idee
Die Details sind kompliziert, aber der Merksatz lautet: Sobald der erste Ehegatte (Elternteil) verstorben ist, muss der länger lebende Elternteil die Kinder gleich behandeln, wenn das im Testament so angeordnet ist.
Eine ausführliche Erklärung des Berliner Testaments findet sich auf dem Videokanal der Kanzlei Graf & Partner. Dort sind auch die wichtigsten Urteile zum Thema böswillige Schenkung verlinkt. Die Broschüre „Fakten zum Erbrecht“ steht auf der Kanzleiwebsite unter www.grafpartner.com/publikationen zum Download bereit.
Juristische Details und Fundstellen zum Thema „böswillige benachteiligende Schenkung
Nach § 2287 BGB kann ein Vertragserbe von einem Beschenkten die Herausgabe des Geschenkes verlangen (§ 812 BGB), wenn der Erblasser die Schenkung in der Absicht gemacht hat, den Vertragserben zu beeinträchtigen. Dies gilt entsprechendauch für bindend gewordene Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament (BGH BGHZ 82, 274; Palandt/Weidlich BGB § 2271 Rn. 9).
Erfolgte die Schenkung noch zu Lebzeiten beider Eltern, gibt es keinen Rückforderungsanspruch, weil die wechselbezügliche Verfügung noch nicht bindend war (vgl. NJW-Spezial 2006, 157).
Bei einer Erbengemeinschaft steht der Anspruch nicht der Erbengemeinschaft als solcher, sondern dem einzelnen (durch die Schenkung benachteiligten) Erben entsprechend seiner Erbquote zu (Palandt/Weidlich BGB § 2287 Rn. 10). Ein Testamentsvollstrecker kann ihn nicht geltend machen (RG JW 1936, 251).
Der Anspruch entsteht erst mit dem Anfall der (zweiten) Erbschaft und ist ein persönlicher Anspruch des Schlusserben, gehört also nicht zum Nachlass (BGH NJW 1989, 2389). Mehrere Vertrags- oder Schlusserben können deshalb Herausgabe des Geschenks nur zu einem der Erbquote entsprechenden Anteil (Palandt/Weidlich BGB § 2287 Rn. 11), nicht also Herausgabe an die Erbengemeinschaft verlangen (BGH NJW 1982, 43).
Erforderlich für eine Schenkung nach § 2287 BGB ist (wie bei § 516 BGB) eine Zuwendung des Erblassers, durch die objektiv die Vermögenssubstanz beim Schenker vermindert und beim Empfängers vermehrt wird, sowie eine Einigung über die Unentgeltlichkeit (Palandt/Weidlich BGB § 2287 Rn. 4). Anders als bei § 2325 Abs. 3 BGB kann die Schenkung auch länger als zehn Jahre vor dem Tode zurückliegen. Sogar bei Pflicht- und Anstandsschenkungen (§ 2330 BGB), gemischten Schenkungen (BGH NJW-RR 1996, 133) und unbenannten Zuwendungen zwischen Ehegatten (BGH NJW 1992, 564) kann ein Rückforderungsanspruch bestehen. Wenn die Zuwendung allerdings als Entgelt für Pflege oder geleistete Mitarbeit erfolgte, liegt ggf. keine Schenkung vor (BGH NJW-RR 1986, 1135).
Die Benachteiligungsabsicht des Erblassers muss nicht das einzige oder das treibende Motiv für die Schenkung sein. Die inneren Motive des Erblassers müssen daher nicht bis zum Letzten aufgeklärt werden (Palandt/Weidlich BGB § 2287 Rn. 6). Der BGH (NJW 1984, 121) nimmt eine Beeinträchtigungsabsicht des Erblassers bereits dann an, wenn der Schenker kein anerkennenswertes Eigeninteresse (wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur) an der Zuwendung hatte. Bejaht wurde vom BGH ein lebzeitiges Eigeninteresse in diesen Fällen (Palandt/Weidlich BGB § 2287 Rn. 7): Der Erblasser nimmt die Schenkung vor, um seine Altersversorgung zu verbessern (BGH NJW 1992, 2630; OLG Köln ZEV 2000, 317; OLG München NJW-RR 1987, 1484). Der Erblasser möchte den Beschenkten zwecks Betreuung und Pflege im Alter an sich binden (BGH NJW 1992, 2630). Der Vertrags- bzw. Schlusserbe hat sich schwerer Verfehlungen gegen den Erblasser schuldig gemacht (LG Gießen MDR 1981, 582). Der Beschenkte übernimmt – ohne rechtliche Bindung – Leistungen zur Betreuung des Erblassers, erbringt diese tatsächlich und will diese auch in Zukunft vornehmen (BGH ZEV 2012, 37).
Der Anspruch aus § 2287 BGB verjährt in drei Jahren vom Erbfall an (Palandt/Weidlich BGB § 2287 Rn. 13).