Warum es heute kein Vorteil mehr ist, rechtsschutzversichert zu sein
Es gab eine Zeit, in der sich Anwälte freuten, wenn der Mandant seine Rechtschutzkarte zückte. Die legendären AdvoCard-Werbespots mit Schauspieler Manfred Krug verkörpern diese Goldene Ära. Vorbei! Seit das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) am 01.07.2004 die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) ablöste, wird das Verhältnis zwischen Anwälten und Rechtschutzversicherungen zunehmend frostiger. Heute wäre es Anwälten oft lieber, der Mandant wäre nicht rechtschutzversichert. Warum?
Die Einführung des RVG hatte bekanntlich den Zweck, das Honoraraufkommen gerechter unter den Anwälten zu verteilen und in einigen Bereichen moderat anzuheben. Die Rechtschutzversicherer fanden das gar nicht witzig und reagierten – das RVG war noch gar nicht in Kraft getreten – mit Gegenmaßnahmen. Sie bauten „Netzwerke befreundeter Anwaltskanzleien“ auf, mit denen sie Rahmenverträge (sog. Rationalisierungsabkommen) schlossen. Inhalt: Wir empfehlen Dich unseren Versicherten, im Gegenzug rechnest Du uns gegenüber nicht die vollen RVG-Honorarsätze ab, sondern deutlich geringe Beträge. Nun kann man sich vorstellen, dass Anwälte, die es nötig haben, auf solche Dumping-Konditionen einzugehen, nicht immer zu den Perlen ihrer Zunft gehören. Ob es also wirklich im Interesse eines Versicherungsnehmers ist, der Empfehlung seiner Versicherung zu folgen, mag jeder selbst beurteilen. Jetzt begab es sich aber, dass viele Versicherte sich ihren Anwalt immer noch selbst aussuchen wollen. Sei es, weil sie diesen schon kannten, sei es weil ihnen die Empfehlung der Versicherung nicht zusagte. Die Versicherungen versuchen deshalb seit 2004 auch ganz allgemein gegenüber allen Kanzleien die Honorare zu drücken, also auch gegenüber Kanzleien, mit denen sie keine Rahmenvereinbarung geschlossen haben.
Es begann die Zeit des Gebührenkürzens. Zwischen Anwaltskanzleien und den Versicherungen kam es immer öfter zu kleinkarierten Auseinandersetzungen über die Höhe von Gegenstandswerten sowie den im Einzelfall gerechtfertigten Gebührensatz. Briefwechsel, die in der Vergangenheit undenkbar waren. Die Versicherungen kürzen seitdem – meist ohne jede Begründung – in vielen Fällen die Regelgebühr von 1,3 auf eine „von der Versicherung für angemessen gehaltene“ Gebühr von 0,8. Will der Anwalt eine höhere (also die nach RVG normale) Gebühr abrechnen, so soll er einen „überdurchschnittlichen Arbeitsaufwand“ begründen. Nach der Systematik des RVG ist dies aber gerade nur erforderlich, wenn der Anwalt einen Regelsatz von mehr als 1,3 abrechnet.
Ein Beispiel: Jemand bestellt im Versandhandel eine Espressomaschine für 600 Euro, die dann fehlerhaft geliefert wird. Da sich der Händler weigert, die Maschine zurückzunehmen und den Kaufpreis zurück zu erstatten, geht der Käufer zum Anwalt. Was erhält der Anwalt in so einem Fall für seine Tätigkeit? Nach RVG sagenhafte 58,50 Euro (1,3 Regelgebühr). Wohlgemerkt nicht pro Schreiben oder pro Stunde, sondern für die gesamte außergerichtliche Abwicklung des Falles (inklusive aller Mandantenbesprechung, Anwaltsschreiben und Telefonate), egal wie lange es dauert. Viele Rechtsschutzversicherungen vertreten nun sogar die Auffassung, hier sei (statt der 1,3 Regelgebühr) eine Gebühr von 0,8 angemessen, schließlich handelt es sich ja um einen „einfachen Fall“. Das wären dann noch 36 Euro Anwaltshonorar. Dies dürfte den Zorn der Anwaltschaft auf die Versicherungen nachvollziehbar machen. Einige Gerichtsurteile haben aber zwischenzeitlich den dreistesten Versuchen der Versicherungen eine Absage erteilt. Wie am Beispiel gesehen entlohnt das RVG bei niedrigen bis mittleren Streitwerten ohnehin nicht üppig.
Eine weitere Schikane: Im Unterschied zu früher erteilen die Versicherungen seit 2004 nun auch nicht mehr automatisch Deckungszusage für die vorprozessuale Tätigkeit und (gleichzeitig) eine Klage in erster Instanz. Vielmehr sind Deckungszusagen heutzutage meist auf die vorprozessuale Tätigkeit beschränkt. Der Anwalt muss also einen erneuten Antrag stellen und begründen, warum man sich nicht vorprozessual einigen konnte und ob eine Klage (mit den damit einhergehenden Gebühren) denn nun wirklich nötig ist.
Für die anwaltliche Praxis bedeutet das, dass ein rechtsschutzversicherter Mandant schlicht und ergreifend deutlich mehr Arbeit macht als ein Selbstzahler. Hinzu kommt, dass man den rechtsschutzversicherten Mandanten oft erklären muss, dass seine Rechtsschutzversicherung viele Dinge überhaupt nicht zahlt und in manchen Fällen jedenfalls so geringe Sätze, dass man als Anwalt, der etwas auf sich hält, zu diesen Tarifen nicht tätig werden kann. Außerdem enthalten die meisten Policen eine Selbstbeteiligung von 150 bis 250 Euro. Der Versicherte muss also die ersten 150 bis 250 Euro ohnehin selbst zahlen. Man kann sich die Begeisterung beim Mandanten vorstellen, der sich gefreut hatte, die seit Jahren bezahlten Versicherungsbeiträge endlich einmal „ausnutzen“ zu können.
Mittlerweile ist es aber noch schlimmer: Wir sind nämlich in die dritte Phase der Entwicklung eingetreten. Die Rechtschutzversicherungen halten sich gleich eigene Anwälte, die in Call Centern zu Stundensätzen von 15 bis 20 Euro Rechtsrat erteilen – ganz bestimmt hoch qualifizierten Rat! Weniger polemisch: Rechtsschutzversicherungen unterlaufen gezielt die freie Anwaltswahl. Zum einen, indem sie für Neuabschlüsse die Versicherungsbedingungen ändern und Versicherte künftig dazu verpflichten, nur noch solche Anwälte zu beauftragen, die ein Rationalisierungsabkommen mit der jeweiligen Versicherung abgeschlossen haben. Zum anderen dadurch, dass die Versicherten, die ja häufig bei einem Rechtsfall als erstes bei ihrer Versicherung anrufen, über Telefonhotlines gleich zu einer „genehmen Kanzlei“ geschleust werden, die dann den Rechtsfall „sofort“ bearbeitet – noch am Telefon. Dies gelingt häufig, da vielen Mandanten ihr Rechtsproblem so unter den Nägeln brennt, dass sie so schnell wie möglich mit „ihre.“ Anwalt reden wollen. Mit wem sie da konkret am anderen Ende der Leitung sprechen, hinterfragen viele beim Erstgespräch nicht, sondern erteilen das Mandat. Überlegen es sich die Versicherten später anders, etwa weil sie nach einigen Gesprächen „mit ihrem“ Anwalt ins Grübeln kommen, ob der Jungspund am anderen Ende der Leitung wirklich der Anwalt ihres Vertrauens ist, so weigert sich die Versicherung natürlich, die Doppelkosten für einen Anwaltswechsel zu übernehmen.
Fazit: Die Zeiten, in denen die Existenz einer Rechtsschutzversicherung dem Anwalt ein Lächeln ins Gesicht trieb, sind – wohl endgültig – vorbei. Versicherungsnehmer sollten sich daher die Frage stellen, ob sie eine bestehende Police weiterlaufen lassen, erst recht ob sie eine Rechtsschutzversicherung neu abschließen sollen. Schon immer war es ja so, dass Rechtsgebiete mit hohen Gegenstandswerten (z. B. Baurecht und Erbrecht) vom Versicherungsschutz generell ausgeschlossen waren. Häufig vorkommende Verkehrsordnungswidrigkeiten und Strafsachen sind – im Vorsatzbereich – ohnehin vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, ebenso Ansprüche auf Unterlassung oder Strafanzeigen. Im Straßenverkehrsbereich wissen viele auch nicht, dass bereits die eigene KFZ-Haftpflichtversicherung die Prozesskosten für die Abwehr von Schadensersatzansprüchen im Fall eines Unfalls übernimmt. Und generell gilt: Wenn man im Recht ist, zahlt die Kosten ja ohnehin die Gegenseite. Wer einmal im Detail nachlesen will, welche Bereiche vom Rechtsschutz ausgenommen ist, findet hier als Beispiel die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen 2008 der AdvoCard (siehe § 3). Hier auch als PDF-Download (Advo Card ARB 2008). Vorsicht: Andere Versicherungen weichen mit Ihren ARB zum Teil etwas ab, im Wesentlichen sind die Versicherungsbedingungen aber sehr ähnlich bis wortgleich. Zudem muss man prüfen, welche Fassung der ARB gilt (abhängig davon, in welchem Jahr man die Versicherung abgeschlossen hat).
Zusammengefasst: Der Rechtsschutz zahlt ohnehin viel weniger, als man glaubt – und sie zieht vorab die Selbstbeteiligung ab.
Andererseits: In manchen Rechtsgebieten ist es durchaus angenehm eine Rechtsschutzversicherung zu haben (z.B. beim Kündigungsschutzprozess, bei der aktiven Klage auf Unfallschadensersatz oder im privaten Vertragsrecht, wenn man also z.B. ein defektes Auto kauft). Die nach RVG anfallenden Anwaltshonorare werden aber auch hier häufig überschätzt, so dass Mandanten oft sagen: „Wenn ich gewusst hätte, dass die Anwaltskosten im Ernstfall so überschaubar sind, dann hätte ich sicher nicht 20 Jahre lang Versicherungsbeiträge gezahlt.“
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Weitere Informationen zu diesem Thema:
– Anwaltsblatt Ausgabe 7/2008, Seite 523 ff (Schons „Beziehungskrise ohne Happy End? Die Anwaltschaft und die Rechtschutzversicherungen“)
– NJW Ausgabe 38/2008, S. 2743 ff (Heither/Heither „Als Mandant obsiegen, als Versicherungsnehmer unterliegen?“)
Und wer sich für eindrückliche Beispiele des Vorgehens von Versicherern in der Praxis interessiert, wird auf der Website www.rsv-blog.de fündig.
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