BGH-Rechtsprechung zum Pferdekauf: Wann hat ein Pferd einen „Sachmangel“?

Die Reform des BGB-Schuldrechts von 2002, vor allem die Änderung der Ansprüche auf Gewährleistung im Kaufrecht (§§434 ff BGB), hatte erhebliche Auswirkungen auf die Praxis des Pferdekaufs. Denn seitdem gelten nun auch für Tiere die selben Vorschriften wie für andere Kaufgegenstände, etwa Handys oder Autos. Laut der (juristisch betrachtet irrelevanten) „Wohlfühlvorschrift“ des §90a BGB sind Tiere zwar keine Sachen, werden aber trotzdem – rechtlich – als solche behandelt. Nun sind Lebewesen aber erheblich individueller als Handys und Waschmaschinen. Kein Pferd ist mit einem anderen Pferd völlig identisch, nicht einmal Geschwister. Und auch die Erwartungshaltung des Käufers ist bei Tieren oft anders als bei technischen Geräten. Stichwort: „Das Pferd soll lieb und zutraulich sein“. Das erwartet man von einem Auto eher nicht.

Es stellt sich deshalb die Frage, wie die Gerichte mit diesen nach wie vor bestehenden Besonderheiten des Tierkaufs in der juristischen Praxis umgehen, also bei Rechtsstreitigkeiten über die „Mangelhaftigkeit“ eines Pferdes. Seit der Reform von 2002 hatte der Bundesgerichtshof nun mehrfach die Gelegenheit, sich damit zu befassen. Hier ein kleiner Überblick.

Neues Pferd – altes Pferd. Warum ist das überhaupt wichtig?

Warum diese Unterscheidung für private Pferdekäufer so essentiell wichtig ist, liegt an den Vorschriften zum Verbrauchsgüterkauf, wenn also der eine Vertragspartner (in der Regel der Verkäufer) als Unternehmer (Geschäftsmann / Händler) agiert, der andere Vertragspartner (der Käufer) als Privatperson, also aus Sicht des Gesetzes besonders schutzwürdiger – Verbraucher. Bei einem solchen Verbrauchsgüterkauf regelt §476 II S.1 BGB, dass die Verjährung der Gewährleistungsrechte bei gebrauchten Sachen durch Vereinbarung zwischen den Parteien von den in §438 I Nr. 3 BGB vorgesehenen zwei Jahren auf ein Jahr verkürzt werden kann (noch kürzer geht überhaupt nicht). Das will ein Verkäufer natürlich, damit er nach einem Jahr aus dem Schneider ist. Diese Verkürzung der Verjährungsfrist funktioniert aber eben nur dann, wenn es sich um eine „gebrauchte Sache“ im Sinne des §476 BGB handelt. Bei neuen Sachen ist eine Verkürzung der gesetzlichen Regel- Verjährungsfrist auf ein Jahr gerade nicht möglich. Versucht es der Verkäufer doch, ist die Vertragsklausel unwirksam.

Wann ist jetzt ein Tier „neu“ oder „gebraucht“? Diese Unterscheidung aus dem Bereich der Gegenstände passt auf Tiere nun einmal nicht so richtig. Die Rechtsprechung muss aber nun einmal mit diesen Begriffen arbeiten und sie auf Tiere anwenden. In den vergangenen Jahren hat der BGH einige maßgebliche Faktoren zur Unterscheidung zwischen „neu“ und gebraucht“ herauskristallisiert.

Laut BGH ist ein Pferd jedenfalls dann als “neu” im Sinne des §474 BGB anzusehen, wenn es nur mit dem „in seiner Existenz wurzelnden Lebens- und Gesundheitsrisiko behaftet“ ist, nicht aber mit den Risiken eines typischerweisen Gebrauchs. Demnach wäre also beispielsweise ein junges Fohlen, welches lediglich auf der grünen Weide steht und an dem – flapsig formuliert – noch kein Mensch durch (möglicherweise falsche) Haltung, Training, Beritt usw. „herumgepfuscht“ hat, als “neues” Pferd anzusehen. Je länger und intensiver also durch Haltung, Fütterung, Pflege und Reitweise in das typische Gebrauchsrisiko eines Pferdes eingegriffen wird, desto eher ist von einem “gebrauchten” Pferd im Sinne des §476 BGB auszugehen. Der Übergang ist dabei natürlich fließend und in einem Gerichtsprozess kann man hierüber lange streiten und Beweis erheben.

Der Faktor Zeit spielt dabei natürlich eine ganz besonders wichtige Rolle. Denn laut BGH unterliegen Tiere während ihrer gesamten Lebensdauer einer ständigen Entwicklung und Veränderung ihrer körperlichen und gesundheitlichen Verfassung, die sowohl von der Haltung des Pferdes, als auch von seinen natürlichen Gegebenheiten und Veranlagungen beeinflusst werden kann. Das heißt, je älter das Pferd, desto “gebrauchter” ist es auch im Sinne des §476 BGB. Eine feste Altersgrenze gibt es dabei allerdings nicht.

Laut BGH spielt auch die Geschlechtsreife, insbesondere bei Hengsten, eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Eigenschaft „neu“ oder „gebraucht”, da die Geschlechtsreife zu einem triebgesteuerten und daher oftmals unbeherrschbaren Verhalten des Pferdes führt.

Allgemein geht der BGH davon aus, dass es sich eher um ein “gebrauchtes” Pferd handelt, je länger dieses von seiner Mutter getrennt ist, da es dann vielmehr die Möglichkeit eines eigenen Entwicklungsprozesses hat und gerade nicht mehr nur mit dem allgemeinen, in seiner bloßen Existenz wurzelnden Lebens – und Gesundheitsrisiko behaftet ist.

Aber so richtig griffig ist das alles in vielen Fällen trotzdem nicht.

Hat das Pferd einen „Mangel“? Von Pferden und Gebrauchtwagen

Noch spannender ist die Frage, ob bestimmte körperliche Eigenschaften, (kleinere) Verletzungen oder auch Verhaltensweisen eines Pferdes ein Sachmangel im Sinne des §434 BGB sind. Denn nur bei Vorliegen eines solche Mangels, kann sich der Käufer auf seine Gewährleistungsrechte gem. §437 BGB gegenüber dem Verkäufer berufen. Per Definition liegt ein Sachmangel dann vor, wenn die Ist-Beschaffenheit der Sache von ihrer Soll-Beschaffenheit nachteilig abweicht. Dabei ist im Hinblick auf die Soll-Beschaffenheit zu differenzieren, ob die Parteien darüber eine ausdrückliche Vereinbarungen getroffen haben oder nicht. Gem. §434 I und II BGB können die Parteien nämlich eine sogenannte Beschaffenheitsvereinbarung treffen. Dies setzt voraus, dass die Parteien tatsächlich und ausdrücklich bestimmte Eigenschaften des Pferdes explizit zum Vertragsbestandteil machen.

In der Praxis ist das aber meist nicht der Fall (die Parteien sprechen in der Regel gerade nicht darüber, welche Eigenschaften das Pferd haben oder nicht haben darf), so dass das Pferd dann als sachmangelfrei anzusehen ist, wenn es sich gem. §434 III BGB für die „gewöhnliche Verwendung“ eignet und/oder die „übliche Beschaffenheit“ aufweist. Typische Juristenbegriffe, über die man in den anwaltlichen Schriftsätzen über viele Seiten streiten kann.

Da es sich bei Tieren um individuelle Lebewesen handelt, fällt eine pauschale Einordnung schwer. Ganz grundsätzlich sieht der BGH vor, dass das Pferd zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs jedenfalls auch bei Fehlen einer Beschaffenheitsvereinbarung weder krank sein, noch einen sonstigen vertragswidrigen Zustand aufweisen darf. Auch hierin lassen sich jedoch keine wirklich greifbaren Anhaltspunkte erkennen, denn – ich zitiere einen befreundeten Tierarzt: „Wenn ich lange genug suche, finde ich bei jedem Pferd etwas!“

Der BGH weiß das offenbar auch, denn er betont regelmäßig, dass der Käufer eines lebendigen Tieres nicht erwarten kann, dass er, auch ohne hierfür eine ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung mit dem Verkäufer getroffen zu haben, ein Tier „mit idealen Anlagen“ erhält. Weiter führt der BGH aus, dass der Käufer im Rahmen der üblichen Beschaffenheit des Tieres damit rechnen muss, dass das Tier in der ein oder anderen Hinsicht physiologische Abweichungen vom Idealzustand aufweist, wie sie für Lebewesen gerade nicht ungewöhnlich sind.

In einem konkreten Fall entschied der BGH etwa, dass Rittigkeitsprobleme eines Pferdes, die auf dem sog. Kissing-Spines-Syndrom beruhen, nicht für die Annahme eines Sachmangels im Sinne des §434 III BGB ausreichen, da der Käufer des Pferdes als Lebewesen nicht grundsätzlich von dessen idealer Beschaffenheit ausgehen darf, sondern mithin physiologische Abweichungen hinnehmen muss.

Ebenso entschied der BGH in einem Fall, in welchem das Pferd eine vergangene aber im medizinischen Sinne vollständig ausgeheilte Rippenfraktur aufwies. Diesbezüglich geht der BGH davon aus, dass auch ein zuvor verletztes, mittlerweile aber klinisch wieder unauffälliges Pferd grundsätzlich als Sportpferd geeignet ist, da es für diese Tauglichkeit gerade nicht darauf ankommt, dass das Tier in jeder Hinsicht einer biologischen oder physiologischen Idealnorm entsprechen muss. Kurz gesagt: Ein Pferd ist eben kein Gebrauchtwagen, dem ein unfallbedingter merkantiler Minderwert auch nach erfolgreicher Reparatur anhaftet. Bei Tieren gilt eher: Verletzung ausgeheilt, Tier (deshalb) nicht mehr mangelhaft.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der BGH prinzipiell ein gewisses Mitgefühl mit den Verkäufern von Tieren zeigt, weil er weiß, dass kaum ein Tier den „Idealzustand“ hat (anders als man das von fabrikneuen technischen Gegenständen erwartet). Bei Tieren gibt es einen solchen „absoluten Idealzustand“ nicht, sondern es müssen regelmäßig auch Abweichungen toleriert werden. Andererseits: Wenn ein Käufer einen „Mangel“ behauptet, löst das oft eine intensive Diskussion und im schlimmsten Fall eine Gutachtenschlacht zwischen tierärztlichen Sachverständigen aus. Und da nicht alle Richterinnen und Richter selbst reiten, sind gerichtliche Entscheidungen zu Pferdekäufen oft auch – sagen wir – etwas praxisfern. Daher der Tipp für Käufer eines Pferdes: Im Kaufvertrag am besten ausdrücklich festhalten, was einem bei dem Pferd besonders wichtig ist, also eine ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung treffen.

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