Manchmal merkt ein Mandant während der vorprozessualen Korrespondenz, dass ihm sein Anwalt nicht liegt. Er wechselt zu einem Kollegen und beauftragt den neuen Anwalt mit der Klage. Muss der Prozessanwalt sich nun die Geschäftsgebühr (die der frühere Anwalt kassiert hat) auf sein Honorar (die Verfahrensgebühr) anrechnen lassen? (…)
Das ist umstritten. Mehrere Gerichte entschieden in der Vergangenheit, dass eine Anrechnung erfolgen muss, weil der Prozessgegner sonst durch den Anwaltswechsel bei der Prozesskostenfestsetzung benachteiligt würde. Dies verstieße gegen die Kostenminderungspflicht im Prozess.
Anders sah dies aber nun das OLG Koblenz (Beschluss vom 20.08.2008; 14 W 524/08): Die Anrechnung gem. Vorb. 3 IV VV RVG greift nicht, wenn der Erstattungsberechtigte vorprozessual von einem anderen Anwalt vertreten war. Die Vorschrift des § 91 II 3 ZPO gilt nur für den innerprozessualen Anwaltswechsel, nicht für den Anwaltswechsel zwischen vorgerichtlicher Vertretung und Rechtsstreit.
Was war die Konstellation? Die (spätere) Klägerin war vorprozessual anwaltlich vertreten und hatte dem Rechtsanwalt eine Geschäftsgebühr gezahlt. Für den Prozess beauftragte sie aber einen anderen Anwalt und gewann auch. Im Kostenfestsetzungsverfahren beantragte sie die Festsetzung einer 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG. Die Beklagte wandte ein, dass die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr zur Hälfte angerechnet werden müsse, im Ergebnis also nur 0,65 der Verfahrensgebühr festzusetzen seien. Das Gericht folgte dem Einwand nicht und setzte die volle Verfahrensgebühr an. Zwar sei eine Geschäftsgebühr außergerichtlich angefallen, diese habe aber ein anderer Anwalt erhalten als der Prozessbevollmächtigte. Ein Prozessanwalt müsse sich nur die selbst verdiente Geschäftsgebühr anrechnen lassen. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Ich halte diese Entscheidung für richtig. Der Anrechnung liegt der Gedanke zugrunde, dass der Anwalt, der vorprozesual betraut war und hier korrespondiert hat, bereits in den Fall eingearbeitet ist, ihm also eine „Kürzung“ zugemutet werden kann. Das ist bei einem Anwaltswechsel vor Klageerhebung aber nicht der Fall. Man könnte pro Anrechnung (trotz Anwaltswechsels) also allenfalls damit argumentieren, dass der Anfall der Verfahrensgebühr im Umfang von 0,65 nicht notwendig sei (§ 91 I 1 ZPO), weil der Mandant ja beim ursprünglich beauftragten Anwalt hätte bleiben können. § 91 I 1 ZPO gilt aber ausdrücklich nur für den Anwaltswechsel im laufenden Prozess. Nur dann ist zu prüfen, ob die Beauftragung eines neuen Anwalts aus übergeordneten Gründen erforderlich war (§ 91 II 3 ZPO).
Vor Beginn eines Prozesses kann der Mandant aber frei entscheiden, welchen Verfahrensbevollmächtigten er wählt. Ansonsten wäre er in seiner Anwaltswahl zu stark eingeschränkt. Anders mag es – ausnahmsweise – sein, wenn der Mandant den Anwalt ohne jeden objektiv nachvollziehbaren Grund wechselt, also allein um der Gegenseite zusätzliche Gebühren aufzuhalsen. Die Beweislast hierfür trägt aber der Gegner, so dass dies eher eine sehr theoretische Ausnahme bleiben dürfte.
Eine für die Anwälte erfreuliche Entscheidung. Bislang musste man Mandanten, die den Anwalt wechslen wollten nämlich erklären, dass sie auch bei siegreichem Prozess einen Teil der Kosten selbst zahlen müssen (wenn man als Anwalt dem Mandanten die 0,65 Gebühren nicht schenken wollte).
Allerdings: Die Rechtsschutzversicherungen zahlen in aller Regel bei einem Anwaltswechsel weiterhin nur Gebühren mit Anrechnung.