Ist es für den Pflichtteilsberechtigten sinnvoll, ein notarielles Nachlassverzeichnis zu verlangen?
Oder verursacht das nur unnötig zusätzliche Kosten? Die Notargebühren können nämlich erheblich sein, je nach Wert des Nachlasses.
Nun, zunächst einmal hat jeder Pflichtteilsberechtigte einen Anspruch auf Auskunft gegen den Erben bzw. die Erbengemeinschaft. Auskunft bedeutet, die Erben müssen ein Nachlassverzeichnis erstellen, aus dem der Pflichtteilsberechtigte sieht, welches Vermögen der Verstorbene am Todestag besaß und welche Schenkungen er innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem Tod (in manchen Konstellationen auch noch weiter zurück) gemacht hat. Die Details zum Pflichtteilsanspruch und zum Nachlassverzeichnis erkläre ich in diesen Beiträgen und Videos:
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Das korrekte Nachlassverzeichnis: Basis für die Pflichtteilsberechnung
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Checkliste Pflichtteilsberechnung: Was muss ins Nachlassverzeichnis, was nicht?
Auskunftsanspruch bedeutet aber nicht Anspruch auf Vorlage von Belegen
Nun meinen viele Pflichtteilsberechtigte, sie haben auch Anspruch darauf, dass der Erbe ihnen die Kontoauszüge oder Aktiendepot-Auszüge vorlegen muss, als Beweis dafür, dass die im Nachlassverzeichnis angegebenen Zahlen auch wirklich stimmen.
Das ist – zur Überraschung vieler Pflichtteilsberechtigter – aber NICHT der Fall. Man hat gerade keinen Anspruch darauf, dass man Unterlagen, Kontoauszüge oder sonstige Belege in Kopie übersandt oder auch nur zur Einsicht vorgelegt bekommt. Verstehen viele nicht, weil sie sagen: dann kann mir der Erbe ja alles erzählen! Ist aber so und seit Jahrzehnten ständige Rechtsprechung.
Der Erbe KANN freiwillig Einsicht gewähren und in vielen Fällen ist das auch sinnvoll, um das Misstrauen zu beseitigen und den Fall abzuschließen. Anspruch auf Belege hat ein Pflichtteilsberechtigter aber nicht.
Einsicht in Bankauszüge des Verstorbenen über den Notar?
Nun liest man im Internet (und sogar in manchen juristischen Publikationen) oft, man könne sich in dieser Konstellationen durch einen Trick doch Einsicht in Bankkontoauszüge des Verstorbenen verschaffen, nämlich indem man vom Erben die Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses verlangt, dann bei dieser Erstellung anwesend ist und dem Notar bei der Durchsicht der Unterlagen „über die Schulter schaut“, sich also neben den Notar setzt, diesem bei der Arbeit zusieht und sich ggf. Notizen macht.
„Wer kuckt da über meine Schulter?“
Dass und warum Notare schon per se keine Lust auf solche Nachlassverzeichnis-Mandate haben, erkläre ich in diesem Beitrag:
Noch weniger Begeisterung löst bei Notarinnen und Notare die Vorstellung aus, dass ihnen bei der Durchsicht von Unterlagen ein neugieriger Pfichtteilsberechtigter ständig über die Schulter schaut.
Doch keine Angst, liebe Notare.
Das OLG München hat in seinem Beschluss vom 3.12.2024 (Az. 33 W 1034/24e) nun nämlich mit dem – auch unter Anwälten – weit verbreiteten Irrtum aufgeräumt, ein Pflichtteilsberechtigter (oder dessen Anwalt), könne sich auf diesem Weg dann doch Einsicht in Belege, Kontoauszüge, Schenkungsverträge u.a. verschaffen.
Der OLG-Senat hält von diesem „über die Schulter schauen“ gar nichts. Hier die Begründung:
Im Rahmen des Auskunftsanspruchs gem. § 2314 Abs. 1 BGB besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Vorlage von Belegen (vgl. Senat – 33 U 325/21, NJW-RR 2021, 1376). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Würde man dem Pflichtteilsberechtigten nun gestatten (und den Notar verpflichten, dies zu ermöglichen), dem Notar bei der Durchsicht von Belegen „über die Schulter“ zu schauen, würde der nicht bestehende Anspruch auf Belegvorlage faktisch leerlaufen (Koroch, RNotZ 2020, 537, 556).
Zudem könnte der Pflichtteilsberechtigte dann das Verfahren nach seinem Belieben beeinflussen, indem er sich z.B. übermäßig viel Zeit für die Durchsicht nimmt und dem Notar somit seinen Zeitplan „diktiert“. Hinzu kommt, dass durch Offenlegung der Kontounterlagen des Erblassers gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten schwerwiegend in das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers eingegriffen wird, indem dem Pflichtteilsberechtigten Informationen zugänglich gemacht werden, die einerseits keine pflichtteilsrechtliche Relevanz haben, an deren Geheimhaltung der Erblasser andererseits aber auch nach seinem Tod ein erhebliches Interesse haben kann (Heinze, DNotZ 2019, 413). Im Gegensatz zum Notar, der hinsichtlich der im Wege der Einsicht in die Kontounterlagen erlangten Informationen der Amtsverschwiegenheit unterliegt, sofern keine Pflichtteilsrelevanz gegeben ist (§ 18 BNotO), bestünde die Gefahr, dass der Pflichtteilsberechtigte, dem keine Verschwiegenheitspflicht obliegt, die erlangten Informationen auch an Dritte weitergibt.
Es bleibt also dabei: Der Pflichteilsberechtigte darf nett fragen und hoffen, dass der Erbe ihm Kopien der Kontoauszüge schickt. Weigert sich der Erbe, kann der Pflichtteilsberechtigte (unter Umständen) eine eidesstattliche Versicherung des Erben verlangen. Dann ist Ende der Fahnenstange. Nur in Ausnahmefällen, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Verheimlichung relevanter Informationen existieren, kann man eine Strafanzeige wegen versuchten Betrugs stellen und hoffen, dass die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die Hürde ist aber hoch.
Mehr zum Pflichtteilsanspruch hier:

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Informationen zu Testamentsgestaltung und Erbrecht hier:
– Gratis Info-Broschüre zu Testament und Erbschaftssteuer– Wie geht ein Berliner Testament (Mustertext) – Nachteile des Berliner Testaments – Enterbt ist halb so schlimm: So macht man den Pflichtteil geltend (Muster-Anspruchsschreiben) Die Rechtsanwälte Katrin Groll und Bernhard Schmeilzl in Regensburg sind Profis mit jeweils gut 20 Jahren Berufserfahrung auf den Gebieten Erbrecht, Pflichtteilsanspruch, Testament und Erbschaftsteuer.
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