Ist Anwaltsbesuch ein „Haustürgeschäft“, das Widerrufsrecht auslöst?
Hochbetagte Mandanten, die ein Testament oder eine Patientenverfügung erstellen wollen, bitten oft darum, dass der Rechtsanwalt in die Wohnung, das Haus oder Pflegeheim kommt. Denn diese meist sehr alten und häufig auch kranken Mensch wollen die Strapazen eines Kanzleibesuchs vermeiden. Verständlich. Und prinzipiell spricht auch nichts dagegen, dass ein Rechtsanwalt für ein Beratungsgespräch oder gar die Hilfe bei der Erstellung eines eigenhändigen Testaments in die Wohnung des Mandanten kommt.
Aber: Anwälte hassen Hausbesuche bei Privatmandanten!
Warum? Weil diese hohen Papieraufwand und Unsicherheiten auslösen. Privatmandanten, die eine erbrechtliche (familienrechtliche oder sonstige nicht gewerblich-berufliche) Beratung sind Verbraucher im Sinne des §13 BGB. Rechtsanwälte sind „Unternehmer“ gemäß §14 BGB, weil Feiberufler dort nicht ausgenommen sind. Damit gilt auch für einen Rechtsanwalt, der einen Mandanten auf dessen ausdrücklichen Wunsch hin in seiner Wohnung oder seinem Haus besucht, das Widerrufsrecht nach §312b BGB, früher „Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften“ genannt.
Man kann das für idiotisch halten, weil niemand „leichtfertig“ einen Anwalt ins Haus kommen lässt und einen unüberlegten Impulskauf abschließt, der Paragraph wird von den Gerichten aber auch auf Vertragsabschlüsse mit Rechtsanwälten angewendet.
In der Praxis bedeutet dies, dass der Anwalt den 90jährigen bettlägerigen Mandanten, der Hilfe bei seinem Testament braucht, nun erst einmal mit einem schriftlichen Hinweis auf das Widerrufsrecht und einer ausführlichen Belehrung quälen muss. Danach muss der Anwalt wieder nach Hause fahren und erst einmal zwei Wochen warten, ob der hochbetagte Mandant seinen Auftrag widerruft.
Wenn der Mandant diese zwei Wochen nicht warten will, muss er Anwalt ihm den nächsten Zettel unter die Nase halten und um Unterschrift bitten, dass der Verbraucher seine ausdrückliche Zustimmung dazu gibt, dass der Anwalt bereits vor Ablauf der zwei Wochen mit seiner Dienstleistung beginnt, also mit der erbrechtlichen Beratung und ggf. Formulierung des Testamentswortlauts. Der Mandant muss in diesem (weiteren Dokument) auch ausdrücklich bestätigen, dass er weiß, dass er sein Verbraucher-Widerrufsrecht verliert, wenn der Anwalt den Vertrag vollständig erfüllt hat (§ 356 Abs. 4 BGB).
Und dann legt man dem Mandanten noch die Honorarvereinarung vor, weil reine Beratung nach RVG erbärmlich vergütet wird.
Man kann sich vorstellen, wie gut es bei solchen Mandanten ankommt, wenn sie erst einmal drei bis vier Formulare lesen und unterschreiben sollen, die übrigens auch nur gelten, wenn der Anwalt den Inhalt verständlich erklärt hat.
Daher die Abneigung der Rechtsanwälte gegenüber Hausbesuchen bei Privatmandanten. Zwingt man den hochbetagten Mandanten nämlich dazu, in die Kanzlei zu kommen, hat man den ganzen Ärger und Papierkram nicht (außer Honorarvereinbarung).
Aus meiner Sicht ein klassisches Beispiel für einen Bärendienst, den das Verbraucherschutzrecht den betroffenen Personen erweist. Auch die Anwaltslobby hat bei diesem Thema offenkundig geschlafen.
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